Monthly Archives: April 2018

Maja Lunde – Die Geschichte des Wasser

Dieses Buch dürften wenige im Vorfeld auf dem Zettel gehabt haben, als Prognosen für den erfolgreichsten Roman des Jahres 2017 abgegeben wurden. Doch Maja Lunde hatte mit Die Geschichte der Bienen die Nase vorn, als es um die höchsten Verkaufszahlen ging. Und das sogar vor Größen wie Ken Follett und Sebastian Fitzek. Das dürfte bei der Autorin und im Verlag für einige geköpfte Flaschen Champagner gesorgt haben – zugleich ist aber natürlich auch die Erwartungshaltung gestiegen. Würde es der Autorin gelingen, einen derartigen Husarenstreich ein zweites Mal abzuliefern?

Die Geschichte des Wassers von Maja Lunde

Die Geschichte des Wassers ist nun der zweite Teil eines geplanten Klimaquartetts, das sich literarisch dem Umweltschutz widmet – grüne Literatur sozusagen. Im Vergleich zu ihrem Erstling hat Lunde die Anzahl der Erzählstränge eingedampft, statt drei Geschichten beinhaltet ihr neues Buch nun nur noch zwei Erzählungen, die abermals miteinander zusammenhängen. Eine Geschichte ist die von Signe, die 2017 mit einem Boot von einem Gletscher in Norwegen zu einem alten Freund aufmacht, der in Frankreich wohnt. An Bord dieses Boots führt Signe Eisblöcke vom Gletscher mit sich (da werden Erinnerungen wach an Lize Spits Debüt Und es schmilzt). Die andere Geschichte ist in der Zukunft angesiedelt, genauer gesagt im Jahr 2041. Darin dreht sich alles um David und seine Tochter Lou. Mit er hat er sich auf den Weg in den Norden Richtung Frankreich machen müssen, da eine große Dürre halb Europa unbewohnbar gemacht hat. Wasser ist zum flüssigen Gold geworden und hat große Fluchtbewegungen in Kraft gesetzt. Die Menschen werden zu Klimaflüchtlingen – so auch David und Lou. In einer französischen Notunterkunft müssen die beiden um ihr Leben kämpfen.

In ihrem neuen Buch macht Maja Lunde genau das, was sie schon bei ihrem Roman über die Bienen getan hat. Sie entwickelt von der Gegenwart ausgehend eine Vision, wie unsere Zukunft aussehen könnte, quasi als Mahnung und Warnung. Im schon fast dystopisch anmutenden Setting des Jahres 2041 schafft es Lunde glaubhaft, die Konsequenzen von übermäßigem Wasserverbrauch und Klimaerwärmung plastisch und nachvollziehbar zu schildern. Gegen diese spektakuläre Schilderung verliert Signes Geschichte der Bootsreise zwangsläufig etwas, auch wenn Lunde ihre Reise in schon manchmal an Moby Dick gemahnende Bilder packt.

Pantha Rhei

Auch in Die Geschichte des Wassers ist er wieder da – der Lesefluss. Die Norwegerin hat sich wirklich am griechischen Motto Pantha Rhei – also Alles fließt – orientiert. In nicht zu langen Kapiteln springt Lunde immer wieder zwischen ihren beiden Erzählsträngen hin und her, die am Ende ineinanderfließen und ein großes Ganzes ergeben. Dabei ist ihre Geschichte leider auch etwas absehbar, da viele Erzählelemente schon früh zueinanderfinden und so wirkliche Überraschungen in der Erzählung ausbleiben. Wer sich an dieser gewissen Berechenbarkeit, sowohl in puncto Buchaufbau als auch den Erzählungen selbst nicht stört, der bekommt mit Die Geschichte des Wassers wieder ein Buch, das den Umweltschutz und das Erzählen gleichermaßen als Anliegen verfolgt.

Gute Unterhaltung bietet das Buch für mein Empfinden auf alle Fälle, auch wenn ich den Überraschungserfolg der Bienen etwas stärker empfand. Welche Wünsche hege ich für den kommenden Band des Klimaquartetts? Ein bisschen mehr Raffinesse für Band Drei wäre in meinen Augen wünschenswert. Auch habe ich die Hoffnung, dass sich Maja Lunde nicht von der Leserschaft und den Verlagen zu sehr unter Druck setzen lässt und ihr neues Buch etwas reifen lässt. Die Taktung von einem neuen Buch pro Jahr erscheint mir zu hektisch, als dass wirklich jedes Mal ein Buch mit Tiefgang entstehen könnte. Lieber sollte etwas das Tempo aus der Reihe genommen werden, um das Quartett zu einem lesenswerten Abschluss zu bringen. Von diesem Meckern auf hohen Niveau abgesehen ein guter Unterhaltungsroman, der sich begrüßenswerterweise einmal mit relevanten Themen, denn hyperintelligenten Serienkillern oder Ähnlichem widmet!

Diesen Beitrag teilen

Ein Verlag wird gegründet | Der Nord-Verlag

Auch wenn der Indie-Bookday schon wieder ein paar Tage her ist – hier ein Interview mit Camilla Zuleger vom neugegründeten Nord-Verlag. Der Nord-Verlag hat sich dieses Jahr gegründet und beschäftigt sich mit nordischer Literatur. Auf der Leipziger Buchmesse gab es eine Release-Party für die ersten übersetzen Bücher des Verlags. Was genau der Nord-Verlag so treibt und welche Ziele Camilla mit ihrem Verlag verfolgt – das und mehr wollte ich von ihr wissen …

Nehmt uns doch mal mit: wie kommt man von der Idee zu einem Verlag?

Ich, Camilla, die Verlagsgründerin, habe Literatur an der Uni studiert. Von Beginn an, wollte ich in einem Verlag arbeiten. Aber da Dänemark ein minikleines Land ist, und nicht jeder Däne liest, ist es nicht so einfach, einen Job in einem Verlag zu bekommen. Und eigentlich wollte ich immer auch selber entscheiden wie alles funktioniert. Erstmal überlegte ich, einen Verlag in Dänemark für deutsche Literatur zu gründen. Aber es gibt schon so viele kleine Verlag hier – und relativ wenige Leser, so dass ich dachte: Das wird wohl zu schwierig. Dann aber sagte ein Freund zu mir: Warum denn nicht ein Verlag in Deutschland für nordische Literatur? Und seitdem hat es sich 100 % richtig gefühlt.

Was unterscheidet euch von anderen Verlagen?

Ich würde erstmal sagen, dass wir mit anderen Verlagen viel gemeinsam haben. Wir sind aber eher ein Nischenverlag, und werden mit aller Wahrscheinlichkeit das Sortiment nicht auf nicht-übersetzte Literatur ausweiten. Aber unter den Nischenverlagen sind wir wahrscheinlich einer der wenigen, der sich auf neue, nordische Literatur auf Deutsch fokussiert. Und was uns auch noch unterscheidet, ist der Ort. Wir sitzen in Kopenhagen, und nicht in Deutschland. Ich würde sagen, dass die meisten Verlage durch eine große Liebe zur Literatur in allen Formen verbunden sind. In dem Sinn sind wir genau so wie alle andere Verlage – nur hoffentlich mit einer etwas anderen Ausgangslage und besonderem Ausdruck.

Was macht die skandinavische Literaturszene aus?

Die skandinavische Literaturszene, d.h. die norwegische, dänische und schwedische Literatur, ist besonders dadurch gekennzeichnet, dass wir eine Art gemeinsame Sprache haben. Obwohl es drei unterschiedliche Sprachen sind, können wir uns – mit ein bisschen Mühe – gegenseitig verstehen. Das bedeutet, dass es eine starke Bewegung innerhalb der nordischen Autoren gibt; sie studieren auf Autorenschulen in anderen Ländern, auf anderen Sprachen als ihrer eigentlich Muttersprache. Und dadurch beeinflusst die Literatur der verschiedenen Länder sich gegenseitig, und wird deswegen auch in gewissen Hinsichten ähnlich. Das finde ich, ist das Einzigartige an der Szene. Dazu kommt, dass es hier auch ein gutes Milieu für Debütanten gibt – nicht zuletzt in Form von Förderung, was es ermöglicht, dass Debütanten überhaupt arbeiten und veröffentlichen können.

Wie seid ihr auf eure DebütautorInnen gestoßen?

Sowohl Victor als auch Ingvild sind im Norden keine Geheimtipps – weit davon entfernt sogar. Sie waren mit ihren Bücher omnipräsent, als diese herauskamen. Über Ingvilds Buch hat man auch in Kopenhagen viel geredet, obwohl es gar nicht offiziell in Dänemark erschienen ist. GOLDvon Victor Boy Lindholm brachte etwas Neues in die Szene. Zusammen mit ein paar anderen jungen Autoren hat er sich getraut, eine andere Sprache innerhalb der Lyrik zu benutzten, die zuvor als “unpoetisch” oder “unschön” galt. Damit hat Victor es salonfähig gemacht, der modernen Pop- und Jugendkultur eine Rolle in der Poesie zu geben. Außerdem war er nur 22 Jahre alt, als sein Debüt erschien, was natürlich auch etwas besonderes ist. Ingvild Lothe, glaube ich, hat über etwas sehr Aktuelles und früher extrem Tabuisiertes, nämlich die dunklere Seite des Frauseins geschrieben – vor #metoo. Und das hat sie auf einer Art und Weise gemacht, die so einzigartig ist, dass es bald sowas wie einen neuen Stil geprägt hat.

Wieso diese Bücher als erste? Was haben sie uns zu sagen?

Wir haben sehr lange überlegt. Denn wenn man näher darüber nachdenkt, sind zwei Gedichtbände auf einmal vielleicht eine vollkommen blöde Idee. Aber ich wollte gern zeigen – und zwar sehr deutlich – dass es eine andere Seite der nordischen Literatur gibt. In den Regalen der Buchhandlungen gibt es nämlich viele Bücher von nordischen Autoren und auch mehrere sehr gute. Aber meistens sind das Krimis, Romane oder große Familiendramen; sozusagen die klassischen Bücher. Was ich gern präsentieren will, sind die Experimente; die Bücher, die vom Stil und Ausdruck her, neu und einzigartig sind; die Publikationen, die einen neuen Weg definiert haben. Und das machen sowohl GOLD als auch “Warum bin ich so traurig, wenn ich doch so süß bin” auf ihre Art und Weise. Dass sie keine „klassischen“ Bücher sind, hat eine große Rolle spielte, weil davon haben wir schon genug, oder?

Welche Rolle spielt die äußere Gestaltung?

Eine sehr große! Die nordische Kultur, die der Nordverlag vermittelt, wird sehr von einer visuellen Identität geprägt. Ich hatte das Glück, mit zwei so fantastischen Designern arbeiten zu dürfen: Matilde Juul und Fie Lindholm, die beide eine unglaublich tolle Arbeit mit Ingvild bzw. Victor geleistet haben. Ich bin auf das Resultat sehr stolz. Es ist aber auch sehr wichtig, da die Umschläge ja die erste Begegnung mit den potentiellen Lesern sind. Außerdem sind wir auch Papier-Nerds. Beide Bücher sind nicht aus beliebigem Papier, sondern aus sorgfältig ausgewählten Papiersorten, die alle umweltfreundlich sind und einem unvergleichbares Gefühl haben.

Was ist noch so alles geplant? Welche Autoren und Themen wollt ihr präsentieren?

Gerade schauen wir erstmal von einem Tag zum nächsten. Was in der Zukunft passieren wird, kann ich noch nicht genau sagen, aber Ideen haben wir genug. Erstmal liegt der Fokus auf den beiden ersten Büchern, und dann schauen wir mal. Doch kann ich sagen, da Norwegen nächstes Jahr Gastland bei der Frankfurter Buchmesse ist, dass man sich vorstellen könnte, dass man weitere norwegische Literatur sehen wird. Und dann werden wir auch weiter mit der visuellen Kunst in verschiedenen Formen arbeiten.

Wer jetzt neugierig geworden ist: zu den Büchern und der Webpräsenz des Verlags geht es hier entlang. Instagram und die Facebookseite finden sich hier. Zudem kuratieren die Macher aus dem Verlag immer wieder passende Songlisten auf Spotify, bieten Plakate und vieles mehr an. Eine große Empfehlung meinerseits!

Diesen Beitrag teilen

Wolfgang Schorlau – Der große Plan

„Du solltest endlich einmal deinen Kriminalroman schreiben.“

„Das dauert , Georg. Davon verstehe ich ich nichts. Aber du hast doch bei diesem Fall Anschauungsmaterial genug.“

„Georg, deine Fälle eignen sich nicht für Kriminalromane“ (…)

„Wir sitzen zusammen und schauen uns Diagramme und Schaubilder an.“ (…)

„Das ist schon okay, aber kannst du dir vorstellen, dass in einem Kriminalroman Tabellen und Schaubilder abgedruckt werden?“

„Warum nicht?“

„So etwas gab es noch nie. Die Kritiker würden das Buch in der Luft zerreißen.“

„Vielleicht solltest du dich eher um die Leser als um die Kritiker kümmern

„Meinst du, Leser mögen Schaubilder in einem Krimi?“

„Keine Ahnung. Aber man sollte die Leser nicht unterschätzen“ 

Schorlau, Wolfgang: Der große Plan, S. 282 ff

Nein die Leser sollte man tatsächlich nicht unterschätzen. Aber zu lange sollte man sie auch nicht warten lassen, ehe man seinen Lesern einen neuen Kriminalroman serviert. Der Bestsellerautor Wolfang Schorlau weiß das, auch wenn er sich mit seinen neuen Kriminalroman um den Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler Zeit gelassen hat. Nicht so viel Zeit, wie sich Denglers Freund Martin Klein ausbedingt, der seine Freunde Jahr um Jahr mit der Ankündigung des großen Kriminalromans hinhält, aber drei Jahre sind es auch bei Schorlau geworden. So viel Zeit ist seit dem Erscheinen des NSU-Krimis Die schützende Hand vergangen. Der Krimi, eigentlich für den Herbst letzten Jahres angekündigt, wurde noch einmal verschoben, ehe er nun im März 2018 in Schorlaus Hausverlag Kiepenheuer&Witsch publiziert wurde.

Inhaltlich bleibt sich Schorlau seiner Linie treu und präsentiert einen weiteren Doku-Krimi, der sich mit einem großen gesellschaftlichen Thema auseinandersetzt. Waren dies in den Büchern zuvor die Abgründe der Massentierhaltung oder des NSU-Komplexes, widmet er sich nun eines Themas, das zwar aktuell nicht mehr so hochtourig verhandelt wird, ohne das aber zu Hochzeiten keine Talkshow und kein Leitartikel auskam. Die Rede ist von der finanziellen Rettung Griechenlands, die auf dem Höhepunkt der Krise die deutsche Volksseele hochkochen ließ. „Pleitegriechen“, ständig Ouzo Trinkende und faule Griechen, laxer Umgang mit Steuern und Arbeit. Beim Thema Griechenland hat(te) jeder Stammtisch zu reden, befeuert durch eine journalistische Dauerkanonade wider den Schlendrian im EU-Mitgliedstaat.

Schorlau widmet sich differenziert diesem Thema in Gestalt eines Kriminalromans, der sich um das Verschwinden der jungen Anna Hartmann dreht. Die Frau war eines Abens wie von der Bildfläche verschwunden, die Polizei fand keine eindeutigen Spuren und so soll Dengler für das Außenministerium den Fall noch einmal unter die Lupe nehmen, als neutraler Beobachter von Außen quasi. Denn das außenpolitische Interesse an dem Fall erklärt sich dadurch, dass Hartmann für die Troika in Athen aktiv war und die finanzielle Rettung Griechenlands mit überwachen sollte. Doch wer könnte ein Interesse am Verschwinden der jungen Beamtin haben? Dengler beginnt nachzuforschen. Doch er muss feststellen, dass immer, wenn er eine heiße Spur hat, die betreffenden Verdächtigen umgebracht werden oder verschwinden. Welche Pfade hat Anna Hartmann gekreuzt? Oder welchen Geheimnissen war sie auf der Spur?

Der Begriff des Doku-Krimis ist für die Werke Wolfgang Schorlaus wie gemacht, denn Schorlau ergänzt seine Krimis immer um Fakten, Exkurse und Darstellungen, wie dies auch schon das Eingangszitat aus Der große Plan nahelegt. Dies macht aus dem Krimi manchmal ein wirkliches Sachbuch, bei dem die Krimihandlung und Spannung hinter das Anliegen des Autors zurücktreten. In diesem Falle ist das Anliegen, die Griechenlandrettung, ihre Hintergründe und Auswirkungen einmal fernab jeglichen Stammtischgetöses zu erklären. Das ist löblich und informativ, sorgt zugleich aber auch phasenweise für einen Schulbuchcharakter (was sich im Übrigen auch über alle Bücher Schorlaus sagen lässt). Beispielhaft sei hier einer von vielen Dialogen im Buch zitiert, die das illustrieren:

„Wir haben eine Spur“ sagte Dengler. „Ich weiß wirklich nicht, ob sie uns vorwärtsbringt, aber es ist lohnend, der Frage nachzugehen, ob Anna Hartmann die Schulden in illegale, illegtime und legitime Schulden aufgeteilt hat. Wir machen eine kleine Pause, bevor uns Leo die handelnden Personen der Griechenlandkrise vorstellt“

Schorlau, Wolfgang: Der große Plan, S. 275

Man wähnt sich während der Lektüre des Öfteren in einem Unihörsaal oder einer Zeitungsredaktion – doch dann schafft Schorlau auch wieder den Bogen zu seinem Krimi und bindet auch eine zweite Erzählebene neben der Suche nach Anna Hartmann ein. Diese Ebene ist die Erzählung von SS-Kämpfern in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs und den unterschiedlichen Strategien, mit der Schuld umzugehen. Diese Erzählung kann Schorlau zum Ende hin wieder rund mit der aktuellen Erzählung verzahnen und schafft es auch, die Faktenlastigkeit wieder etwas aufzuweichen und mit viel Handlung zu verbinden und zu runden.

Fazit

Hat der Krimi selbst auch manchmal leichte Schwächen, gerade auch in der Figurenzeichnung, -tiefe und den Dialogen, ist das Buch als Gesamtpaket gesehen, eine wirklich spannendes, informatives und erhellendes Buch. Eben genau das, was ein Doku-Krimi liefern sollte. Und Schorlau kann liefern.

Diesen Beitrag teilen

Matthias Göritz – Parker

Meine Erwartungshaltungen an dieses Buch waren hoch – vermisse ich doch etwas in der aktuellen deutschsprachigen Literatur massiv: Politik und den Willen, sich in Debatten einzubringen. Schon einmal habe ich diesen Wunsch in einem längeren Aufsatz geäußert, der sich an dieser Stelle findet. Nun also Matthias Göritz‘ Parker, ein Roman über einen Mann, über die Politik und deren Abgründe – das erhoffte ich mir nach einer ersten Studie des Klappentextes des Buchs. Bekommen habe ich stattdessen etwas anderes – aber der Reihe nach.

Matthias Göritz ist 1969 geboren und betätigt sich als Übersetzer, schreibt Gedichte und fürs Theater. Immer wieder lehrte und schrieb er auch als Dozent und Stipendiat in Amerika an verschiedenen Universitäten und im Rahmen von Förderprogrammen – so auch momentan. Zur Zeit lehrt Göritz an der Washington-Universität von St. Louis.

Den Amerika-Einschlag merkt man auch Parker auch deutlich an. Dies beginnt schon bei der Figur des titelgebenden Matthew Parker (Mutter Deutsche, Vater Amerikaner) und setzt sich in seinem trans-atlantischen Plot fort. Denn wir begleiten Parker dabei, wie er von Amerika kommend eingangs nach Schleswig-Holstein reist, wo seine Talente benötigt werden. Als Rhetoriker und Redenschreiber gibt er ein Seminar und soll den aufstrebenden SPD-Politiker Hans-Christian Mahler coachen. Der Macron von der Waterkant hat nämlich erkannt, dass smarte und redegewandte Politiker in Europa auf dem Vormarsch sind. Und so soll nun Parker Mahler in die erste Reihe der Politik bringen und dessen Vision von einem norddeutschen Silicon Valley mit Reden befeuern und pushen.

Doch der Norden und Schleswig-Holstein speziell sind ein hartes politisches Pflaster. Göritz greift das im Buch immer wieder auf und erinnert an die zahlreichen Skandale, die die Landespolitik stets produzierte. Besonders in Bezug auf die SPD stellt die politische Historie  kein Ruhmesblatt da. Fälle wie die Bespitzelung Björn Engholms in der Barschel-Affäre, das Wahldesaster Heide Simonis oder das Scheitern der SPD-Bürgermeistern Susanne Gaschkes sind nur einzelne Steine in einer Kette von Skandalen – das Register ist lang.

Wer in Schleswig-Holstein nach der Macht greift, der muss über kurz oder lang scheitern, so auch Göritz‘ These, der das an der Figur des Parker durchexerziert. Doch eine Art deutsches House of Cards ist Parker dennoch nicht, denn die Politik ist im Buch eher ein dünner Mantel, der seine Hauptfigur umkleidet. Der Mittelpunkt von Parker ist und bleibt Parker selbst.

Dass Parker dabei gerade im Haifischbecken der Politik mitschwimmt, ist keine Überraschung, Denn es sind seine Fähigkeiten als Redner und auch Blender, mit denen er sich gekonnt über Wasser hält und von Auftrag zu Auftrag laviert. Die wirklichen Triebfedern Parkers weiß sein Schöpfer Göritz dabei gut zu verstecken und diese mit dem Fortschreiten des Buches nur zögerlich zu enthüllen.

Oftmals wirkt Parker und sein ganzes Personal wie die Hochglanz-Räume, in denen sich die Handlung zumeist abspielt. Überall Hotelzimmer und Lofts, in denen auf jedem Meter ein Marcel-Breuer-Tisch oder eine Eames-Chair steht. Vordergründig ist alles auf Hochglanz und Strahlen gebürstet, hinter den Fassaden lauert aber das große Nichts. Genau das ist es auch, das Parker selbst tut – Menschen herausputzen und von ihrer besten Seite präsentieren. Die Abgründe sollte man dabei besser verstecken – doch wehe, wenn sie aufgedeckt werden …

Stark ist Göritz bei Parker in dieser Dichotomie von Schein und Sein. Andere Punkte sind schwächer geraten – denn ganz klischeefrei kann auch er nicht. So sind die Schilderungen der Stehempfänge mit den honorigen Gästen oder das Beharken der Gegner Szenen, die Erwartbares zeigen, darüber hinaus allerdings keine große Tiefenwirkung im Buch entfalten. Man kennt das schon (besser) aus Serien wie etwa The West Wing, Borgen oder dem oben bereits erwähnten House of Cards. Diese Serien sind einfach Maß der Dinge, wenn es darum geht, die Politik in ein Unterhaltungsformat zu überführen. Erwartet man Ähnliches von Parker, dürfte man enttäuscht werden.

Liest man aber Parker als Studie eines zerrissenen Mannes, die eine leichte Politik-Tünche umgibt, dann ist das Buch wirklich stark. Ausflüge in Rhetorik und Kampagnenführung inklusive.

Fazit

Ist Parker der große zeitgenössische Roman über die Politik, ihre Mechanismen und Abgründe? Dem würde ich nur mit großen Einschränkungen zustimmen. Für mich ist Parker vielmehr ein Buch über Schein und Sein sowie die Geschichte eines Mannes, der sich irgendwo zwischen Amerika und Deutschland verloren hat.

 

 

Diesen Beitrag teilen

Stefan Hertmans – Krieg und Terpentin

Mit den Titeln aus dem Hause Diogenes hatte ich in letzter Zeit kleine Probleme. Über Titel wie Bernhard Schlinks neuen Roman Olga oder Leinsee von Anne Reinecke schrieb ich, sie seien Flutschbücher. Bücher also, die gut konsumierbar sind und sich weglesen, die aber keine Langzeitwirkung entfalten. Bücher, denen Reibungsflächen und Widerhaken fehlen, um sich im literarischen Gedächtnis zu verankern. Eher Fälle von gut gemachtem literarischen Fast-Food denn wirklichen Drei-Gang-Menüs.

Und nun kommt im Taschenbuch Stefan Hertmans Krieg und Terpentin daher – und dieses Buch entschädigt für so vieles. Schon die englische Übersetzung dieses Titels hatte ich auf meinen Wunschzettel gepackt. Doch statt auf Englisch lässt sich das Buch nun dank Übersetzerin Ira Wilhelm auch auf Deutsch lesen. Sie hat das Buch des Belgiers Hertmans aus dem Niederländischen übertragen und macht damit ein ganz und gar großartiges Buch zugänglich.


Hertmans versucht in Krieg und Terpentin eine Annäherung an seinen Großvater, dessen Leben er nacherzählt. Dies tut er mithilfe von Tagebüchern, die sein Großvater Urbain erstellte und über das Hertmans Zugang zu ihm fand. Denn es sind tatsächlich die beiden titelgebenden Spannungsfelder des Kriegs und des Terpentins, zwischen denen sich das Leben von Urbain abspielte.

Erinnerungen an den eigenen Großvater

Stefan Hertmans - Krieg und Terpentin (Cover)

Stefan Hertmans Erinnungen an seinen Großvater sind geprägt von dessen Malerarbeiten, die er in seinem heimischen Atelier ausführte. Stets zog sich sein Großvater in seinen Arbeitsraum zurück und malte Szenen, die ihm mal besser, mal schlechter gelangen. Doch welche Tragik und Wucht die Geschichte seines Ahnen barg, davon erfährt Hertmans erst spät durch die Tagebücher und Notizen, die ihm einen völlig neuen Zugang bieten. Abwechselnd von sich und aus der Sicht seines Großvaters berichtend, erzählt der Belgier von Urbain, seiner Familie und seinem Werdegang.

Aufgewachsen in bitter armen Verhältnissen musste er schon bald für den Unterhalt seiner Familie sorgen. Dies tat er unter körperlich anstrengendsten Verhältnissen in einer Genter Eisengießerei. Doch diese Tätigkeit muss Urbain schon bald ruhen lassen, denn 1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Durch das Eintreten der Belgier in den Krieg muss auch Urbain sein Land gegen die Deutschen verteidigen und erlebt Unfassbares. Die täglichen Schrecken des Krieges, Verwundungen, die Schlacht an der Yser – seinem Tagebuch vertraut er schier Unmenschliches an.

Doch die Erlebnisse nach dem Krieg, sein künstlerisches Schaffen und nicht zuletzt die tragische Liebe sind Elemente in seinen Erinnerungen und werden in Krieg und Terpentin verhandelt. Wie Stefan Hertmans dabei die Annäherung an seinen Großvater gestaltet, das berührt tief.

Das Buch besitzt eine große emotionale Tiefe, sowohl was die Erlebnisse Urbains als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen angeht. Über das Buchende hinaus entfaltet das Buch eine Tiefenwirkung und ist Mahnmal und Familienerinnerung zugleich. Für mich ist dieses Buch klar zwischen Oskar Maria Grafs Das Leben meiner Mutter und Erich Maria Remarquez Im Westen nichts Neues verortet. Genau einhundert Jahre nach dem Ende des unfassbaren (aber immer im Schatten des folgenden) Weltkriegs ein echtes Mahnmal, das die Schrecken des Krieges neu und plastisch erscheinen lässt. Ein Buch von großer Strahlkraft und Tiefe und damit das Gegenteil eines Flutschbuchs – eines jener Bücher, denen ich in diesem Jahr von Herzen einen durchschlagenden Erfolg wünsche!

[Quelle Titelbild: les_troupes_belges_allant_de_St-Trond_à_Tirlemont, publication de l’hebdomadaire Le Miroir, CC BY-SA 3.0]

Diesen Beitrag teilen