Tales from Teheran

Ava Farmehri – Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen

Sheyda Porroya sitzt in Teheran im Gefängnis und wartet auf ihre Hinrichtung. Wir schreiben das Jahr 1999. Die islamische Revolution ist schon lang vorüber – die Nachwirkungen sind aber immer noch zu spüren. Dort im Gefängnis beichtet uns Sheyda ihre Lebensgeschichte. Es ist eine dunkle Schehezerade, die von einer schwierigen Heldin erzählt und die auflöst, warum sie im Gefängnis auf ihre Hinrichtung wartet. Im düstern Wald werden unsre Leiber von der kanadischen Autorin Ava Farmehri (übersetzt von Sonja Finck).


Ich kam in Gefangenschaft zur Welt.

Ich wurde am 1. April 1979 in Teheran geboren, am selben Tag wie die Islamische Republik.

Monate vor meiner Geburt wurde ein Schah von seinem Volk verraten und auf den Mattscheiben weltweit als Verräter dargestellt. Zusammen mit seiner Kaiserin wurde er Exil und dann in einen Tod geschickt, der seinen größten Schmerz und seine schlimmsten Albträume übertraf. […]

Ein Hubschrauber hob ab, und Iran stand unter Belagerung.

Farmehri, Ava: Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen, S. 14 f.

Es gibt wahrlich zugänglichere Heldinnen als diese Sheyda Porroya, die uns in diesem Buch ihre Lebensgeschichte anvertraut. Schon als Kind hintertreibt sie die Erziehungspläne ihrer Eltern, stiftet Ärger, ist aufmüpfig – kurzum: eine echte Querulantin. Ein Psychiater betreut sie von Kindesbeinen an. Ihre Unbeugsamkeit prägt sich im fortschreitenden Lebensalter aus. Sie verrät Geheimnisse, missachtet die Erziehungsversuche der Eltern und ist in ihrem Heimatviertel in Teheran berühmt-berüchtigt.

Sie macht sich der Gotteslästerung schuldig, was man ihr des jungen Alters wegen noch verzeiht. Aber kompromisslos geht sie ihren eigenen Weg, was sie nicht nur mit den Obrigkeiten in einem Staat wie dem Iran kurz nach der Islamischen Revolution in Bedrängnis bringt. Zudem kann man Sheyda nicht wirklich trauen, die sie sich in Anlehnung an Dante ein Alter Ego namens Beatrice zugelegt hat. Was ist wahr, was erzählerisches Märchengarn?

Eine widerborstige Heldin

Ava Farmheri macht es den Leser*innen in ihrem Buch nicht wirklich leicht. Der Begriff „Heldin“ für Sheyda mag nicht so wirklich greifen. Zu widerborstig ist sie, als das man große Sympathien für sie empfinden könnte. Widerständig und teilweise schon fast masochistisch strapaziert sie die Nerven ihrer Umwelt und die der Leser*innen. Darauf muss man sich einlassen. Aber darauf stimmt ja schon auch der Titel dieses Buchs ein.

Ava Farmehri - Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen (Cover)

Wenn man es tut, wird man mit einem Buch belohnt, das Einblick in eine Lebenswelt gibt, die in unserer westlich geprägten Literaturszene wenig stattfindet. Die Beschreibung Irans, des Lebens in den Stadtviertel (die mich von der Beschreibungs- und Lebensintensität an Elena Ferrantes Sizilien erinnerte) und die Schilderung die Repressionen dort, das ist gut gemacht. Farmehri gelingt es, das Leben durch die Augen ihrer Ich-Erzählerin plastisch einzufangen und zu vermitteln.

Und dann ist da auch vom Inhalt abgesehen die literarische Ebene, die in diesem Buch überzeugt. So findet sie kluge Leitmotive, wie etwa die Dichtung Dantes, die dem Buch den Titel und Sheyda ihr Alter Ego liefert. Auch die Vögel bilden eines dieser Leitmotive, derer sich Ava Farmehri beident. Beständig folgen sie Sheyda und tauchen immer wieder an zentralen Stellen im Buch auf.

Fazit

Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen hat ein erzählerisches Konzept, das in der orientalischen Tradition verhaftet ist, aber doch durch die Spannung und die gesetzten Erzählschritte zu unseren westlichen Lesegewohnheiten passt. Ava Farmehri gelingt es, Einblicke in den Iran der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu liefern. Und nicht zuletzt ist hier eine gekonnte Beschreibung einer widerspenstigen Frau zu erleben, die über das eindrucksvolle Ende des Buchs hinaus bei mir blieb. Ein beachtliches Debüt und eine dunkle Märchenstunde.


  • Ava Farmehri – Im düstern Wald werden unsre Leiber hängen
  • Aus dem Englischen von Sonja Finck
  • ISBN 978-3-96054-234-6 (Nautilus)
  • 288 Seiten. Preis: 22,00 €
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Von der Wirkungslosigkeit der Literatur

Angesichts dieser Überschrift zunächst ein paar Worte vorweg. Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich schätze Literatur über alle Maßen. Ich halte sie für sinnreich, aufklärend und in ihren besten Momenten für identitätsstiftend, wenn nicht gar befreiend. Wäre das anders, würde ich auch sicher dieses Blog hier nicht betreiben.

Ich würde mich durchaus als Literaturverfechter bezeichnen. Einer der Qualität, Relevanz und gutes Schreibhandwerk schätzt, Autor*innen kritisch begleitet und der sich auch bei rituellen Branchenspezifika wie etwa Buchmessen oder Preisverleihungen umtut. Literatur bereichert mein Leben und ich möchte sie nicht missen. Das schicke ich meinen Worten hier eindeutig voraus, um kein Missverständnis hinsichtlich des Folgenden entstehen zu lassen.

Literatur ist gesellschaftlich nicht relevant

Ich schätze Literatur sehr. Ich halte sie aber auch für weitestgehend wirkungslos. Wirkungslos in dieser Hinsicht, dass man Literatur auf eine Funktion in der Realität sublimieren möchte. Denn eine Instrumentalisierung von Büchern für bestimmte Anliegen und Zwecke ist zumeist so wirkungslos wie deplaziert.

Einmal mehr hat das die aktuelle US-Wahl eindrücklich gezeigt. Schon vor der Wahl Donald Trumps gab es zahlreiche Bücher, die seine Karriere und seinen Weg in die Politik beleuchteten. Seitdem sind Regalmeter um Regalmeter dazugekommen. Die meisten dieser Bücher sind sich in ihrer Ablehnung Donald Trumps und der Verdammung seiner Praktiken einig. Das reichte von medial breit besprochenen Titeln wie etwa den zwei Enthüllungsbücher von Reporterlegende Bob Woodward bis hin zu breit orchestrierten und in vielen Teilen der transatlantischen Leserschaft medial antizipierten Bestsellern wie etwa Feuer und Zorn von Michael Wolff. Nicht nur diese, sondern auch innerfamiliäre Enthüllungen wie etwa die von Trumps Nichte Mary Trump offenbarten die teilweise pathologische Großmannsucht, Lügen, Übertreibungen, fragwürdiges Geschäftsgebaren und Doppelzüngigkeit.

Nicht nur diese breit rezipierten Bücher ergaben ein vieldeutiges Bild des Präsidenten und seiner Verfasstheit. Auch literarisch irrelevante Werken wie die Insiderberichten von John Bolton oder James Comey fluteten den Büchermarkt und fanden großen Absatz. Für die (temporäre) Nachfrage ließ man in Deutschland teilweise die Übersetzer*innen im Dutzend und Akkord arbeiten, um dem öffentlichen (und natürlich auch wirtschaftlichen) Interesse möglichst rasch Genüge zu tun. Man kann also kaum sagen, dass das Themenfeld Donald Trump und dessen Abgründe auf dem Buchmarkt nicht abgebildet worden wäre. Es lag und liegt alles auf dem (Bücher-)Tisch

Keine Funktionieren der Literatur in der Realität

Und nun stellt sich heraus, dass trotz dieser dutzenden Aufklärungsbüchern und Insiderberichten im Übermaß dieser Präsident ohnegleich fast vor einer zweiten Amtszeit stehen könnte. Er hat neue Wähler erreicht, seine Basis ausgebaut und geht gestärkt aus vier furchtbaren Präsidentschaft hervor. Wirkungsvoller kann man die Irrelevanz der Literatur hinsichtlich gesellschaftlicher Prozesse und Entwicklungen nicht zeigen. Angewendet auf die Realität muss Literatur scheitern. Das geschriebene Wort, es vermag den Lauf der Dinge nicht wirklich zu beeinflussen, mögen auch gute Intentionen hinter diese Interpretation von Literatur verbergen.

Natürlich werden viele Sonntagsreden geschwungen und das Loblied auf die Literatur gesungen. Viele Preisverleihungen, Matineen oder Messeeröffnungen sind voller pathosgesättigter Worte, die immer wieder die These heraufbeschwören, Literatur könne uns und die Geschichte ändern. Ich finde sie allerdings reichlich wohlfeil.

Wie gering ihr Einfluss in Wirklichkeit ist, das hat diese US-Wahl und die Informationsfülle wieder einmal mehr gezeigt. Alles ist bekannt und publiziert – die meisten Menschen interessiert es allerdings nur peripher und/oder geht an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei.

Auch hier in Deutschland lässt sich die Entwicklung beobachten. Mag die Realität die Literatur durchaus beeinfluss, so gilt das nicht umgekehrt. Während der mediale Raum für die Literatur schwindet und dem Buchmarkt die Buchkonsument*innen abhanden kommen, hält man an den Sonntagsreden fest und beschwört ein Bildungsbürgertum herauf, das sich so kaum mehr in der Gesellschaft findet.

Unentschiedene oder noch uninformierte Menschen, die sich ihr Urteil auf der Basis von Literatur bilden wollen, sie haben doch zumeist andere Quellen, aus denen sie sich eine Meinung bilden. Bücher und Kultur generell gehört meiner Einschätzung nach kaum dazu. Aber mit der gesellschaftliche Relevanz und Systemrelevanz für Kunst, Theater, Museen oder Literatur ist es dieser Tage eh nicht weit her.

Für einen realistischen Blick auf Literatur

Auch wenn es fast so klingt – ich möchte hier keinen Abgesang auf das Medium Buch oder die Literatur generell singen. Mir geht es alleine um einen realistischeren Blick auf die Literatur und ihre gesellschaftliche Wirkungslosigkeit.

Lasst uns weiter über Literatur reden, sie mit all ihren Möglichkeiten rühmen und preisen. Aber bitte schätzen wir ihre Wirkmacht auch konkret ein. Und diese tendiert doch eher gegen null.

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Ilja Leonard Pfeijffer – Grand Hotel Europa

Es gibt Bücher, die haben es mir in letzter Zeit deutlich leichter gemacht als dieses. Fast hätte ich nach gut fünfzig Seiten aufgegeben und Grand Hotel Europa aus Ärger über seinen Ich-Erzähler Ilja Leonard Pfeijffer abgebrochen. Gut, dass ich es nicht getan habe. Denn obschon das Buch in meinen Augen durchaus Schwächen hat, belohnt Grand Hotel Europa auch reichlich. Und so steht am Ende ein Leseerlebnis mit Höhen und Tiefen.


Da steigt ein Schriftsteller in einem Hotel namens Grand Hotel Europa ab. Der genaue Ort, die Umgebung oder die Zeit des ganzen bleiben abstrakt. Dort im Hotel beginnt der Schriftsteller zu schreiben und offenbart dadurch eine Romanze, die ihn schlussendlich einsam in das Hotel getrieben hat. Die Hintergründe der Geschichte des Schriftstellers offenbaren sich in der Folge genauso wie die Veränderungen, die das Hotel durchläuft. Denn ein chinesischer Investor hat im Hotel das Zepter übernommen und gestaltet es nun fleißig gemäß seiner modernen ästhetischen Vorstellungen um.

Das sind die erzählerischen Grundpfeiler von Ilja Leonard Pfeijffers Roman. Der niederländische Schriftsteller ersinnt für seine Geschichte einen Ich-Erzähler, der seinen Namen teilt. Und dieser Pfeijffer sorgte bei mir fast für einen Leseabbruch des Buch, schon auf den ersten Seiten dieses 550 Seiten starken Romans. Woran liegt das? Ganz klar am zur Schau gestellten Charakter eines alten weißen Mannes, dessen Weltbild voller Vorurteile steckt und vor Sexismen und Klischees schier überquillt.

So mokiert er sich über Touristen, die er schon einmal als „Koch-Homos“ betitelt, Frauen verfallen ihm, wobei er sich deutlich mehr für ihre sexuellen Reize als ihren Charakter erwärmt (so reist er beispielsweise zu einem Vortrag einer Koryphäe namens Deborah Drimble, um mit dieser eine Affäre wieder aufzuwärmen. In ihrer Beschreibung spielen für Pfeijffer ihre Initialen allerdings stets die wichtigste Rolle, da diese ihre körperlichen Reize abbilden, wofür er sich am meisten interessiert. Auch andere Frauen betrachtet er meist hauptsächlich auf ihre köperlichen Reize hin). Banal, paternalistisch, homophob, sexistisch und dergleichen mehr. Sollte ich wirklich mehr Zeit mit einem solch reaktionären Erzähler von vorgestern verbringen?

Im Grand Hotel Europa

Ich habe mich dafür entschieden – und diese Entscheidung nicht bereut. Denn dieses krasse Bild Pfeijffers eines Mannes von vorgestern schwächt sich im Fortgang merklich ab. Es wird nach und nach durchaus geschickt gebrochen. Pfeijffer erweist sich im Laufe des Buchs durchaus als beobachtungsstarker und vielschichtigerer Charakter. Vielschichtiger und interessanter, als ich das zunächst wahrgenommen habe.

Natürlich, es gibt absurde Sexzenen, die teilweise durchaus heiße Kandidaten für den Bad Sex in Fiction-Award wären. Der Eros dieses Mannes und seine Bettgeschichten sind mitunter grotesk. Auch stopft Pfeijjfer seine Erzählung neben der Rahmen- und der Binnenhandlung mit weiteren Erzählsträngen voll, die nicht immer ganz aufgehen. So reichert er seine Liebesgeschichte um einen Caravaggio-Erzählstrang an. In diesem erzählt vom Leben des berühmten Malers sowie der Suche nach einem verschollenen Gemälde, auf dessen Spuren sich Pfeijffer und seine Freundin Clio begeben. Daneben gibt es auch ein Medien-Projekt, von dem Pfeijffer erzählt. Zusammen mit einem kreativen Duo möchte er eine Reportage über den Tourismus und Europa anstrengen. Das beschwert das Buch mitunter, dann lassen sich aber auch wieder reizvolle Querverbindungen zwischen den Themen finden.

Quo vadis Europa

Dieses von Touristen heimgesuchte Europa ist auch in zahlreichen Diskussionen und theoretischen Erörtungerungen im Grand Hotel Europa selbst Thema. Während Pfeijffer von all den oben geschilderten Dingen erzählt, trifft er sich häufig mit dem betagten Hotelgast Patelki, mit dem er über den Zustand und das Wesen Europas debattiert. George Steiner, berühmte Epen der Geschichte oder Exkurse zu Oswald Spengler sind in den langen Dialogen Thema. Das klingt dröge. Ist es aber abgesehen von ein paar zu lang geratenen Ausführungen aber nicht.

Ilja Leonard Pfeijffer - Grand Hotel Europa (Cover)

Denn Pfeijffer gelingt das Kunststück, diese scheinbar disparaten Themen und Erzählstränge dann doch zu verbinden. Und zwar so, dass sich im Lauf des Buchs bei mir ein echter Leseseog einstellte. Was ist unser Europa heute noch wert und worauf gründen seine Werte? Wie umgehen mit Flüchtlingen in der EU? Wie sollte man dem überbordenden Tourismus in Regionen wie Cinque Terre oder Amsterdam Herr werden? Und welchen Einfluss nimmt Asien, insbesondere China, auf die Entwicklung des alten Kontinents? Darüber macht sich Pfeijffer Gedanken und schafft so den Spagat zwischen Erzählung, Sachthemen und philosophischen Exkursen.

Dass dies gelingt, ist auch dem schriftstellerischen Vermögen Ilja Leonard Pfeijffers geschuldet. Denn wo Robert Seethaler in seinem mediokren Der letzte Satz zuletzt postulierte, dass man über Musik nicht schreiben könne, beweist Pfeijffer das Gegenteil. Seine Schilderung eines Konzerts im Grand Hotel Europa ist derart packend und plastisch, dass man meint, selbst im Auditorium zu sitzen. Seine Beschreibungen von Orten wie etwa Venedig oder Amsterdam sind farbenreich, sein Sprachwerkzeug vielgestaltig. Mal elegisch, mal selbstironisch, mal vorwärtsdrängend, dann auch wieder reflektiert präsentiert sich der niederländische Schriftsteller. Dass sich das auch im Deutschen so gut liest, verdanken wir der Übersetzung von Ira Wilhelm.

Fazit

Hatte ich zunächst persönliche Probleme mit dem Buch und sehe auch durchaus Schwachstellen, so muss man objektiv gesehen auch konstatieren, dass Pfeijffer sein Handwerk als Schriftsteller gänzend beherrscht.

Ihm gelingt ein Buch, das postmodern und verwinkelt wie das Grand Hotel Europa selbst ist. Sein Buch steckt voller Themen und Fragen. Die Referenzen zu anderen Werken der Literaturgeschichte sind spannend eingearbeitet. Mal ist das Werk eine Suche nach Identität, dann wieder ein doppelbödiges und autofiktional gespiegeltes Porträt eines Mannes und eines Kontinents mit Geschichte. Philosophisch, auf der Höhe der Zeit, romantisierend, mitunter etwas anstrengend und dann wieder ironisch – das alles ist Grand Hotel Europa!

Weiter Meinungen zum Buch gibt es bei Letteratura, Buchpost und Libertine Literatur.


  • Ilja Pfeijffer – Grand Hotel Europa
  • Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm
  • ISBN 978-3-492-07011-9 (Piper)
  • 560 Seiten. Preis: 25,00 €
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Susan Hill – Die kleine Hand

Endlich Zeit für etwas Grusel hier in der Buch-Haltung! Passend zu Halloween gibt es ein Buch aus der schönen Reihe Gatsby Geisterhand. Diese kleine Reihe erscheint im Schweizer Kampa-Verlag und versammelt so illustre Namen wie Henry James, Paul Theroux oder Oscar Wilde. Kurze, in einheitlichem Reihendesign gestaltete Schauermärchen und Erzählungen mit übersinnlichen Elementen gibt es hier zu entdecken. Unter anderem auch das vorliegende Buch von Susan HillDie kleine Hand.

Von Susan Hill liegt im Kampa-Verlag schon ein Krimi um den Inspector Simon Serrailler und zwei weitere Romane vor, darunter die Familiengeschichte Stummes Echo. In England ist Susan Hill auch für ihre Geistergeschichten bekannt. Mit Die Frau in Schwarz erlangte sie große Popularität, die Verfilmung mit Daniel Radcliffe sorgte für zusätzliche Bekanntheit ihres Schauerromans.

Nun ist wird ihr sonstiges Schaffen langsam durch die Editionsarbeit des Kampa-Verlags auch in Deutschland bekannter. Ihr Roman Die kleine Hand ist dabei ein hervorragender Einstieg in das Oeuvre der vielseitigen Britin. Denn es hat alles, was ein guter Schauerroman braucht. Und das auf gerade einmal etwas mehr als 170 Seiten.

Ein Antiquar auf Abwegen

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Ich-Erzähler Adam Snow. Er ist als Antiquar auf alte Bücher spezialisiert. Ankäufe und Verkäufe von seltenen oder vergriffenen Ausgabe bedeuten für ihn sein Auskommen und seine Passion. Als jäger besonderer Bücher kommt er herum – so auch an jenem Abend, als er eigentlich nach einem beruflichen Ausflug zurück richtung London möchte. Doch er verfährt sich und landet auf der Zufahrt zu einem verlassenen Haus. Dieses Haus übt eine rätselhafte Anziehung auf den Antiquar aus. Und so beschließt er, den Ort zu erkunden.

Als er sich dann im Garten umtut, spürt er plötzlich eine unsichtbare Kinderhand, die nach seiner greift. Diese Hand wird er im Laufe des Buchs noch öfter spüren. Und damit eine Macht, die eine zunehmend tödliche Gefährlichkeit für Adam entwickelt …

Susan Hill hat eine Gespenstergeschichte geschrieben, die wenig Wünsche offenlässt. Ein verwunschenes Haus, eine gespenstische Erscheinung, alte Bücher, eine Prise Der Name der Rose, alles drin. Die Zutaten ihrer Geschichte sind gut vermengt und bilden aufgrund der Kürze den idealen Gruselsnack für einen nebligen und dunklen Abend. Übersetzt von Susanne Aeckerle ist Die kleine Hand eine Empfehlung, ebenso wie die restlichen toll gestalteten Monographien in dieser Geisterhand-Reihe. Da kann Halloween kommen!


  • Susan Hill – Die kleine Hand
  • Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle
  • ISBN 978 3 311 27001 0 (Kampa)
  • 176 Seiten. Preis: 18,00 €
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Maxim Voland – Die Republik

Die alternative Geschichtsschreibung boomt. Losgetreten einst von Fiktionen wie etwa Philip K. Dicks Das Orakel vom Berge oder Robert Harris´ Vaterland, hat sich die alternative Geschichtsschreibung in den letzten Jahren zu einer häufig aufgegriffenen Erzählform entwickelt. Die Frage „Was wäre, wenn?“ bietet zweifelsohne aber auch viel Potential. Gerade die wechselvolle deutsche Historie bietet viele Möglichkeiten, sich über einen anderen Ausgang des Geschichtsverlaufs Gedanken zu machen.

Andreas Eschbach gelang mit seiner Überwachungs-Fiktion NSA 2018 ein großer Bestseller. Doch nicht nur das Dritte Reich ist ein viel verwendete Folie für alternative Geschichten. Auch die DDR ist ein Feld, das von Autor*innen gerne beacktert wird. So entwickelten Harald Martenstein und Tom Peuckert in Schwarzes Gold aus Warnemünde die Idee einer prosperierenden DDR, deren sagenhafter Reichtum und Wohlstand auf einem 1989 in der Ostsee entdeckten Erdölvorkommen beruht. Auch Simon Urban entwickelte in seiner Fiktion Plan D eine DDR, die über 1989 fortbesteht, und in der ein Verbrechen die Kader der darbenden DDR aufschreckt.

Ganz taufrisch ist die Idee Maxim Volands also nicht. Eine DDR voller Wohlstand und ein verarmter Berliner Stadtstaat bilden das Gefälle in seiner Fiktion. Die DDR umfasst bei ihm das Gebiet unserer heutigen DDR, misstrauisch von Amerikanern, Engländern und neidvoll von den West-Berlinern beäugt. Wohlstand, Technologie, Jobs – die DDR boomt und wird von den Genoss*innen an der Spitze des Staats und der Volkskammer eher wie ein Startup denn ein sozialistisches Land per 5-Jahresplan gemanagt.

Ein Giftgasanschlag in der DDR

In das Bild der erfolgreichen und beneideten DDR passt allerdings ein Giftgasanschlag denkbar schlecht. Dieser ereignet sich mitten im DDR-Gebiet in Berlin. Die Führung vertutscht den Anschlag und hinter den Kulissen versucht der Topspion Gustav Kuhn, die Hintergründe der Tat zu klären.

Maxim Voland - Die Republik (Cover)

Derweil reist der Übersetzer Christoph Jean Mueller aus Frankreich in die DDR ein. Zur Beerdigung eines Familienmitglieds wagt er sich auf das ihm unbekannte Staatsgebiet – und wird bald in eine turbulente Jagd verwickelt.

Der dritte Erzählstrang, der sich im Lauf des Romans langsam mit den beiden anderen verfugt, ist der der MI6-Agentin Harper Parker-Moreau, die in der DDR ebenfalls die Hintergründe des Giftgasanschlags recherchiert. Gehetzt und auf den Spuren einer groß angelegten Verschwörung kommen sich die drei Figuren immer näher, ehe sie sich – so will es Genre-Gesetz – für das Finale zusammentun müssen, um die Pläne der Schurken zu vereiteln.

Das geht nur unter einem hohen Bodycount, fast dauerglühenden Läufen von Scharfschützengewehren und einer großen Beschreibungsfreude Volands, was die Auswirkungen der Schießereien und Metzelorgien auf dem Staatsgebiet der DDR betrifft.

Die Späher lagen zerfetzt und in Stücke gerissen auf dem Dach. Keiner von ihnen hatte den Beschuss überstanden. Die leblosen Körper der Männer und Frauen dampften in der Winterkühle, Blut sickerte über den Boden; zerplatzte Gedärme lagen wie bizarre Girlanden zwischen den Toten.

Voland, Maxim: Die Republik, S. 314

Hier wären etwas weniger Plastizität und deskriptive Zurückhaltung durchaus mehr gewesen.

Nicht ausgeschöpftes Potenzial der Republik

Der Plot drängt vorwärts und zeigt einen routinierten Autoren, der die Erzählfäden sicher in der Hand hält und langsam zusammenführt. Das Tempo im Buch ist hoch, Die Republik treibt zusehends auf ihr großes Finale zu. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, als Thriller ist das gut gemacht. Allerdings hätte es dafür nicht unbedingt den vorher so umfangreichen Vorklapp gebraucht, der die alternative DDR und ihre Entstehung erklärt.

Hätte Voland hier die alte Branchenweisheit „Show, don’t tell“ mehr beachtet, hätte dies den ersten Seiten des Romans merklich gut getan, ehe es dann wirklich los geht. Statt in einem Vorklapp über die Genese seiner DDR und die weiteren Umständen zu dozieren und das Szenario des Buchs zu beschreiben, hätte er diesen theoretischen Überbau lieber erzählerisch in seinen Roman eingearbeitet. Denn die Idee erklärt sich eigentlich wie von selbst, da hätte es der Erklärungen nicht bedurft.

Fazit

Generell ist es auch dieser Überbau der DDR 2.0, aus dem Voland dann schlussendlich zu wenig macht. Zwar ist seine Ideenfülle durchaus bestrickend, im Lauf des Buchs verwandelt sich die verheißungsvolle Grundidee dann rasch in ein austauschbares James-Bond-Szenario. Seine moderne Überwachungs-DDR voller Technologie und Wohlstand wird aus einem genau modellierten Modell zusehends zu einer recht flachen Hintergrundkulisse. Wäre Voland hier eher bei der Idee der alternativen DDR und ihrer Bedeutung für unterschiedliche Individuen geblieben, hätte mich sein Buch mehr überzeugt. Anstatt jede Menge bleihaltigen Budenzauber abzufeuern und am Ende einen ziemlich schematischen Gut-Böse-Thriller zu erzählen, hätte dieses Buch durch das Interesse an seiner Grundprämisse mehr gewonnen. Als Unterhaltungsroman ist Die Republik alles andere als schlecht und weiß gut zu unterhalten. Figuren, Sprache und Rede sind zweckdienlich und passen sich gut in das passable Gesamtbild ein.

Dennoch wäre mit dieser Grundidee mehr drin gewesen. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung der Geschichte Der Republik? Dann würde es mich freuen, wenn Voland die Versprechen einlöst, die er mit seiner Idee in diesem Roman gegeben hat.


Nachtrag: inzwischen wurde das Pseudonym Maxim Voland gelüftet. Es handelt sich beim Maxim Voland um den Schriftsteller Markus Heitz.


  • Maxim Voland – Die Republik
  • ISBN: 978-3-492-07071-3 (Piper)
  • 528 Seiten. Preis: 22,00 €
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