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Tan Twan Eng – Das Haus der Türen

Hierzulande ist William Somerset Maugham nicht mehr so recht bekannt. Der vor genau sechzig Jahren verstorbene Schriftsteller zählt in England zur Garde des sogenannten middle-brow, also Autor*innen, die mit ihren Werken zwischen Unterhaltung und Anspruch balancieren. Mit seinen Theaterstücken und Romanen feierte er in Großbritannien von Beginn der Jahrhundertwende an große Erfolge. In Deutschland ist das vom Schweizer Diogenes-Verlag gepflegte Werk des weitgereisten Romanciers etwas in Vergessenheit geraten. Tan Twan Engs Roman Das Haus der Türen holt William Somerset Maugham nun aus dieser Vergessenheit und macht ihn selbst Protagonisten. In Engs Erzählung bekommt er eine Geschichte zu hören , die aus seiner Feder stammen könnte…


Mit Werken wie dem 2006 zuletzt verfilmten Der bunte Schleier erschrieb sich William Somerset Maugham eine große Fangemeinde. Insbesondere Romane wie jener, aber auch seine Erzählungen zeigen einen weitgereisten Mann, dessen Geschichten in Hongkong, in der Karibik oder in Hawaii spielen.

Es sind Schauplätze und Thematiken, die Maugham aus eigenem Erleben heraus kannte. Denn nach der Trennung von seiner Frau reiste der homosexuelle Somerset Maugham zusammen mit seinem Sekretär Gerald Haxton um die halbe Welt und lebte an verschiedenen Stationen und britischen Kolonien.

Ein berühmter Schriftsteller zu Gast in Malaysia

Tan Twan Eng - Das Haus der Türen (Cover)

Eine solche Station bildet auch den erzählerischen Rahmen des 1970 in Malaysia geborenen Autors Tan Twan Eng. Denn hier ist es das Ehepaar Robert und Lesley Hamlyn, das Somerset Maugham und sein Sekretär im Jahr 1921 auf der malaiischen Insel Penang besuchen. Dort, in der von Kasuarinen umgebenen herrschaftlichen Villa namens Cassowary House, verbringt der Schriftsteller mehrere Wochen bei seinem alten Freund, den er aus gemeinsamen Zeiten in England kennt. Die Zeichen sollen eigentlich auf Erholung für das reisende Paar stehen. Die Betreuung legt Robert Hamlyn in die Hände seiner Frau.

„Na, dann ein andermal“, erwiderte Robert. „Die Gute kennt sich mit der Geschichte unserer Insel hervorragend aus. Sie weiß alles über Penang. Früher hat sie Stadtführungen für Freunde gemacht, die aus dem Ausland kamen. Diesen deutschen Schriftsteller haben wir auch herumgeführt, als er in Penang war – wie hieß er noch gleich, meine Liebe? Hesse, nicht wahr? Ja, Hermann Hesse.“

„Erholsame Tage der Muße am … Strand., mehr will ich nicht“, sagte Willie. „Ich muss Unmengen von … Büchern lesen, und Gerald ist noch nicht wieder bei Kräften. Er … benötigt viel Ruhe“.

Tan Twan Eng – Das Haus der Türen, S. 25

Doch die Kreativität des sonst so produktiven Autors stockt. Ebenso wie mit den Worten kämpft der malade Autor mit der Muse – was durch eine Nachricht aus der Heimat nicht besser wird. Denn bei einem Spekulationsgeschäft hat Somerset Maugham sein gesamtes Erspartes verloren. Und nun sitzt er auf der Insel in der Straße von Malakka am anderen Ende der Welt und weiß nicht mehr so richtig weiter.

Affären in Penang

Da kommt es gerade recht, dass Lesley, die Gattin Roberts, William Somerset Maugham als eine Art Beichtvater für sich entdeckt. Denn sie erzählt ihm einer Scheherazade gleich über mehrere Wochen hinweg eine Geschichte, die sie im elf Jahre zuvor dort in Malaya erlebte und die sich im Milieu der Expats und Kolonialherren abspielte.

Würde ich einen Roman schreiben, Willie, würde ich Ihnen erzählen, dass ich am Morgen des 25. April mit einer gewissen inneren Unruhe erwachte, mit dem Gefühl, dass mein Leben nach diesem Tag nie wieder so sein würde wie zuvor. So würde es ein Romanautor formulieren, nicht war? Aber ehrlich gesagt (und ich will in dieser Sache absolut ehrlich sein) empfand ich nichts, rein gar nichts Derartiges, als ich an jeenem Morgen erwachte.

Tan Twan Eng – Das Haus der Türen, S. 117

Diese hat mit einem (historisch verbürgten) Mordfall, einem Gerichtsprozess zu tun – und spiegelt in verschiedenen Aspekten die Frage von falschen Fassaden, Untreue und außerehelichen Affären, was sich als eine Art Leitmotiv durch Engs Roman zieht. Denn nicht nur, dass sich das Haus der Türen als Ort einer solchen Affäre entpuppt – alle drei Hauptfiguren des Romans sind in mal heimlicher und mal offener gelebte Affären verstrickt. Da passt es ins Bild, dass eine vierte Affäre, die im Zentrum der schon fast an middle brow-Krimis erinnernde Handlung steht, dann zur Inspiration des schreibkriselnden William Somerset Maugham wird.

Tan Twang Eng auf den Spuren William Somerset Maughams

Das Haus der Türen erzählt von diesem Schriftsteller und seinen Sorgen und Nöten ebenso, wie Engs Roman die Lebenssituation der britischen Expats dort in Malaysia in den Blick nimmt, bevor dann mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs der Zugriff der Engländer auf Penang und ganz Malaysia enden sollte.

Zwar mögen Lesley und ihre Erlebnisse hier nur literarische Fiktion sein. Die Inspiration von William Somerset Maugham durch diese Geschichte hin zu seinem Werk Der Kasuarinenbaum allerdings ist belegt. Der gleiche Schöpfergeist, der Somerset Maugham bei seiner Umarbeitung der erzählten Geschichte von Lesley beseelte, auch Tan Twan Eng stellt ihn mit diesem 2023 für den Booker Prize nominierten Roman aus. Seine literarische Ausdeutung der Episode aus dem Leben William Somerset Maughams atmet den Geist von dessen Geschichten, ist aber auch ein eigenständiges Werk, das zudem mit einer schönen Randnotiz aufwartet.

Denn ebenso wie die Engländer aus Malaysia vertrieben wurden, geschah es auch Somerset Maugham Jahre schlussendlich mit seinem Erzählungsband, dessen Entstehung im Roman geschildert wird. Seine Schilderungen des Lebens und der Gesellschaft dort warfen ein zu unvorteilhaftes Bild auf jene Gemeinschaft, die sich nicht nur ihres Lebensstils, sondern kurz zuvora auch der Bücher Maughams in ihren Bibliotheken rühmte, ehe der gefeierte Schriftsteller zu ihnen stieß und ihre Leben in Literatur verwandelte.

Fazit

Tan Twan Eng gelingt das Kunststück dieser Verwandlung ebenfalls. So lässt Das Haus der Türen das Leben und Lieben dort in Malaysia in den 1910er und 20er Jahren noch einmal auferstehen und sorgt so auch dafür, dass man auch hierzulande wieder wahrnimmt, wer William Somerset Maugham war und was sich literarisch mit seinem Werk wiederentdecken lässt.


  • Tan Twang Eng – Das Haus der Türen
  • Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
  • ISBN 978-3-7558-0018-7 (Dumont)
  • 352 Seiten. Preis: 24,00 €
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Nora Bossong – Reichskanzlerplatz

Zwei Menschen und ihre Wege ins System des „Dritten Reichs“ untersucht Nora Bossong in ihrem neuen Roman Reichskanzlerplatz. Wo verläuft der Grat zwischen Anpassung und Unterstützung eines faschistischen Systems? Das ist die Frage, die hinter Bossongs Roman aufscheint.


Es beginnt alles 1919. In diesem Jahr setzt die Handlung von Reichskanzlerplatz ein, indem Nora Bossong gleich zu Beginn die drei Figuren einführt, die für das Geschehen in ihrem Roman zentral sein werden. Erzählt wird das Geschehen aus Sicht des Ich-Erzählers Hans Kesselbach, dessen Vater im Zweiten Weltkrieg kämpfte und bei Neuve-Chapelle eine schwere Kriegsverletzung erlitt. In seiner Familie scheint noch die alte Kaiserzeit auf, die nun, kurz nach dem Ende des Großen Kriegs, an ihr Ende gekommen ist.

Als einziger Sohn lasten die Erwartungen seiner Familie auf ihm, der er als Zwölfjähriger nun das Arndt-Gymnasium in Dahlem besucht. Dieses 1909 steht die neugegründete Schule für preußischen Drill und Exzellenz, der den rein männlichen Schülern aus der Oberschicht hier beigebracht werden soll. Es ist der Ort, an dem Hans mit Hellmut einen Mitschüler kennenlernt, der entscheidenden Einfluss auf sein Leben nehmen soll.

Ich denke an Hellmuts Mutter. Sie starb kurz nach dem Krieg an der Spanischen Grippe, und ich habe sie nie kennengelernt. Hellmut kam erst einige Monate später in unsere Klasse, blass und schmal, als sei er selbst erkrankt. Der Tod seiner Mutter war das Erste, was wir über ihn wussten, das Zweite war, dass sein Vater ein großes Unternehmen führte, und in der Pause wurden wir von unserem Lehrer geschickt, ihm unser Beileid auszusprechen, man wusste nicht so recht üb für das eine oder das andere.

Nora Bossong – Reichskanzlerplatz, S. 11

Hans & Hellmut & Magda

Von Beginn an fühlt sich Hans zu Hellmut hingezogen, der diese Nähe auch zögerlich erwidert. Nach einer immer weiter voranschreitenden Annäherung führt dann allerdings das Geschenk eines Gedichtbandes von Oscar Wilde mitsamt der darin mitschwingenden Symbolik zu einer Zäsur zwischen den beiden Jungen. Für homosexuelle Neigungen ist im Neuen Berlin besonders in den Gesellschaftsschichten der Militärs und Industriellen kein Platz. Und so erfolgt erwartungsgemäß die Distanzierung von Hellmut zu Hans.

Nora Bossong - Reichskanzlerplatz (Cover)

Ein verbindendes Element gibt es aber zwischen den beiden Jungen über den Bruch hinweg, und das schon seit Beginn des ersten Kennenlernens an. Es handelt sich um Hellmuts Stiefmutter Magda. Diese hieß nach Adoption, wurde dann aber nach einem Kennenlernen des verwitweten Industriellen Günther Quandt im Alter von gerade einmal neunzehn Jahren zu dessen neuer Frau an seiner Seite, die sich um die Erziehung von Quandts Kindern, darunter eben auch Hellmut, kümmern sollte.

Schon beim ersten Treffen in der hochherrschaftlichen Villa fällt Hans Magda ins Auge. Verloren und mit ihrer Rolle fremdelnd, altersmäßig näher den beiden Jungen als an ihrem doppelt so alten Ehemann übt sie auf Hans schon seit der ersten Begegnung eine große Faszination aus. Langsam nähern sich die beiden an, musizieren sogar gemeinsam vierhändig.

Die nicht zu greifende Madame Quandt

Auch über den plötzlichen Tod hinaus bleibt die Faszination für diese niemals ganz zu greifende Madame Quandt bestehen und mündet in eine Affäre. Hans wird so zum Gast ihrer neuen und höchst luxuriösen Wohnung am Reichskanzlerplatz, in der er Magda besucht. Die Ironie der Geschichte dabei: diese Umstand einer neuen Wohnung für ihre Affäre hat Hans indirekt durch die Affäre selbst herbeigeführt. Denn als Günther Quandt Mann Kenntnis von der Affäre erlangt, will er die Scheidung und gesteht Magda eine Wohnung an dem Platz zu, der nur kurz auf den Namen Reichskanzlerplatz hören sollte.

Denn nach der Machtergreifung Hitlers wurde aus dem Reichskanzlerplatz der Adolf Hitler-Platz, aus dem nach einer Rückbenennung schließlich der Theodor Heuss-Platz wurde, unter den ihn Berliner*innen heute noch kennen. Damit steht der Platz in guter Tradition zu seiner kurzzeitigen Anwohnerin.

Denn auch die geborene Magda Friedländer ist kreativ in Sachen Umbenennung und Neuerfindung. Schon zu Beginn der Kennenlernphase äußerte Hellmut Hans gegenüber abfällig, Madame Quandt wechsele so oft ihre Namen wie auch ihren Glauben. Ein Eindruck, den ihr Lebensweg bestätigt. Sie, die vor der Heirat mit Günther Quandt schon mit dem christlichen, budddhistischen und jüdischen Glauben sympathisierte und zudem eine Schwäche für Astrologie hat, scheint in den Braunhemden und Hitler eine neue faszinierende Religion entdeckt zu haben.

Gegensätzliche Lebenswege

Sie sucht zunehmed die Nähe der Führungsfiguren der aufstrebenden Nationalsozialisten, womit sich die enge Bindung der Affäre mit Hans zunehmend lockert.

Aus Sicht von Hans schildert Nora Bossong diese zunehmende Entfremdung, die mit einer gegenläufigen Positionierung im neuen politischen System einhergeht. Denn während Hans seine Homosexualität kaschieren muss, sich mit Verfechtern sozialistischer Ideen abgibt und schließlich sogar nach Italien ausweicht, um dort im Staatsdienst im Konsulat als Grenzgänger zwischen der Schweiz und Italien sein Leben zu leben, wird Magda zur Frau an der Seite des von ihr Jupp geheißenen Propagandaminister Joseph Goebbels.

Chronologisch beschreibt Bossong das Voranschreiten dieser Lebenswege, die immer weiter auseinanderlaufen, durch den damaligen Tod Hellmuts aber immer noch eine Verbindung haben, die bis in die Endphase des Zweiten Weltkriegs hinein wirken wird.

Der Weg ins System und aus dem System heraus

Während sich Hans von Magda entfremdet und sogar und mit seinem Gang nach Italien Distanz zum Berlin der Nazis sucht, begibt sich Magda bewusst in das neue System hinein. Sie, die stets die Nähe der Führungselite um Hitler sucht, wird später zu DEM nationalsozialistischen Rolemodel einer „deutschen Mutter“.

Bei einer letzten Begegnung vor dem familiären Suizid im Bunker schleudert sie Hans entgegen, dass sie ihre Kinder allein sie für das Reich bekommen habe. Sie hat sich geschmeidig an die neuen Begebenheiten angepasst und diese aktiv gefördert. Mit Grandezza und Entschiedenheit weiß sie den Arm zum Hitlergruß zu recken, während Hans mit dieser Gellschaftsordnung zunehmend Probleme hat.

Das Fehlen einer Partnerin an seiner Seite, die Bekanntschaft zu Oppositioniellen, die Flucht aus Berlin, all das sind Makel, die der nicht nur optischen Makellosigkeit Magdas entgegenstehen: da die erste Frau im Reich, die stets präsent ist, dort der Homosexuelle, für dessen Neigungen im Reich der Nationalsozialisten kein Platz ist. Diese Dichotomien, den Weg ins System hinein und hinaus, die Gegensätzlichkeit ihrer Figuren, all das arbeitet Nora Bossong auf historischer Grundlage überzeugend heraus.

Fazit

Durch den subjektiven Blick des Ich-Erzählers Hans auf Magda auf die komplexe Beziehung der zunächst drei und später zwei Beteiligten und die Entwicklung der Beteiligten gelingt ihr Nora Bossong ein Roman, der einen erzählerischen Spagat schafft.

Einerseits bleibt die Erzählung eng an der Biografie Magda Goebbels, da Nora Bossong mit vielen Quellen und gestützt auf historisches Material arbeitet. Dennoch nimmt sich die Autorin auch erzählerische Freiräume und schafft es durch ihre literarische Umformung und den indirekten Erzählansatz über Hans, dass Magda Goebbels bei allen Erinnerungen und Gedanken doch amorph und nicht ganz zu greifen bleibt. Was ist hier Überzeugung und was Kalkül?

Am Ende bleiben über das Ende von Reichskanzlerplatz hinaus noch Fragen – die Nora Bossong durch ihre Erzählweise klug erzeugt. Wie man sich der „ikonischen“ Frau im Dritten Reich zwischen Muttermythos und Täterliteratur komplex und angemessen annähert, das macht Bossongs Buch vor und belässt vieles im Ungefähren, statt sich mit eindeutigen Zuordnungen und Einordnungen aufzuhalten.


  • Nora Bossong – Reichskanzlerplatz
  • ISBN 978-3-518-43190-0 (Suhrkamp)
  • 295 Seiten. Preis: 25,00 €

[Titelbild: Von Bundesarchiv, Bild 146-1978-086-03 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5419081]

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Louise Kennedy – Übertretung

Übertretungen gibt es im Debütroman der irischen Autorin Louise Kennedy jede Menge. Mal von Nordirland in den Süden der irischen Republik, mal gibt in Sachen Grenzen des Berufsethos. Sogar ins Totenreich treten hier einige über – das sollte aber nicht allzu sehr überraschen, schließlich spielt Kennedys Erzählung zur Hochzeit der Troubles 1975 in Belfast.


Schon seit langem beweist der in Göttingen ansässige Steidl-Verlag große Hingabe, was die Pflege und Entdeckung irischer Autoren angeht. Sebastian Barry, Claire Keegan oder Edna O’Brien sind nur ein paar große Namen aus dem eindrucksvollen Portfolio an literarischen Stimmen von der grünen Insel. Mit Louise Kennedy gesellt sich nun ein weitere Stimme zu dieser illustren Riege. Sie arbeitete über dreißig Jahre lang als Köchin in Dublin und Beirut, ehe sie 2021 mit einem Kurzgeschichtenband hervortrat, der den illustren Titel The End of the World is a Cul de Sac trug. Nun gibt es mit Übertretung den ersten Roman der Irin zu lesen.

Dieser spielt im Jahr 1975. Im Kino läuft Chinatown und in den Straßen Belfasts explodiert die Gewalt.

Der Nordirland-Minister erklärt, die Welle von Morden, die sich derzeit im Westen der Stadt ereigne, sei Teil einer internen republikanischen Fehde, und bekräftigt, der Waffenstillstand mit der IRA habe auch weiterhin Bestand.

Die Protestant Action Force hat die Verantwortung für die Erschießung von zwei Männern in einer Bar im Belfaster Stadtteil New Lodge übernommen.

Bye Bye Baby ist noch immer auf Platz 1 der Charts.

Louise Kennedy – Übertretung, S. 120

Die Troubles in Belfast

Es ist eine brutale Welt, in der sich die junge Lehrerin Cushla Lavery bewegt. Ihr Bruder Eamonn betreibt in der Vorstadt Belfasts einen Pub und wird von Cushla unterstützt, wann immer es geht. Neben dem Unterricht ist sie aber vor allem bei der Betreuung ihrer alkoholkranken Mutter gefordert. Die Fehden der Troubles in den 70er Jahren bekommen die Laverys dabei hautnah mit, denn als katholische Minderheit leben sie in einem überwiegend protestantisch geprägten Viertel (eine Ausgangslage, die auch Adrian McKinty für seine Reihe um den katholischen Bullen Sean Duffy nutzt).

Louise Kennedy - ÜBertretung (Cover)

Zu allem Überfluss übertritt Cushla dann auch noch privat gleich in zweifacher Hinsicht Grenzen. So unterstützt sie einen jungen Schüler, dessen Familie von den Nachbarn ausgegrenzt und schikaniert wird, wobei sie die Rolle als objektive Lehrkraft schon recht bald verlässt, um ihrem Schützling beizustehen.

Und dann ist da auch noch der mehr als doppelt so alte Michael Agnew, in den sich Cushla Hals über Kopf verliebt. Er ist im Gegensatz zu ihr Protestant, verdient als Anwalt sein Geld und ist verheiratet. Cushla beginnt mit ihm wider besseren Wissens eine Affäre und ist schon bald enorm verliebt in den Anwalt, der sie doch immer nur dann sieht, wann es ihm gerade in den Kram passt. Doch davon lässt sich Cushla nicht irritieren und begleitet ihn sogar bei einer Reise in den Süden nach Dublin, um bei ihm zu sein. Doch die Zeiten sind gewaltgesättigt – und Cushla wird die privaten und politischen Konflikte schon bald am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Konflikte im Land, Konflikte im Privaten

Übertretung von Louise Kennedy ist ein Buch, das die Gewalt und Atmosphäre der Troubles gekonnt heraufbeschwört. Ähnlich wie zuletzt auch Kenneth Brannagh in seinem Kinofilm Belfast blickt sie aus privater Perspektive auf jenen brutalen Konflikt und spürt den Auswirkungen des brutalen Bürgerkriegs im privaten nach. Entzweite Familien, die Religion oder die Einstellung gegenüber der irischen Republik, all das entschied über Wohl und Wehe und wird in Louise Kennedys Buch spürbar. So braucht es auch viel Heimlichkeit und Maskerade, damit die Liaison des verheirateten Protestanten und der kinderlosen Katholikin nicht publik wird und damit ein potentielles Anschlagsziel für Fantatiker wird.

Zudem erzählt Übertretung auch von der Emanzipation einer jungen Frau und den patriarchalen Rollenmustern, von denen sich Cushla langsam befreit. Die Verachtung ihrer Mutter und ihres Bruders aufgrund einer potentiellen Affäre, die Abwertung der Frau im katholisch geprägten Milieu der Vorstadt Belfasts, das sind Themen, die Kennedys Debüt behandelt und das ihr Werk darüberhinaus in meinen Augen auch mit einem Werk ihrer irischen Landsfrau Anna Burns verbinden.

Wie diese in Milchmann aus der Perspektive eines jungen Mädchens auf die gesellschaftlichen Mechanismen der eingeforderten Tugendhaftigkeit von jungen Frauen blickt, so tut es ihr Louise Kennedy hier gleich, die ebenfalls von einer Gesellschaft erzählt, die es Frauen alles andere als leicht macht.

Das sorgte in Großbritannien bereits für einen Nr. 1- Bestseller sowie zahlreiche Nominierungen für Kennedys Debütroman. So fand sich Übertretung auf den Shortlists des Women’s Prize for Fiction, des Debütpreises des British Book Award und des Waterstones Debut Fiction Prize und errang den Literaturpreis des Observer für den besten Debütroman des Jahres 2022. Man mag den Jurys nach der Lektüre des Romans nur beipflichten!

Fazit

Man muss bewundernd auf diese grüne Insel namens Irland blicken, dass diese so viele großartige Erzähltalente hervorbringt. Mit Louise Kennedy ist dank des Steidl-Verlags nun die nächste Schriftstellerin zu entdecken, die sich mit Übertretung irgendwo zwischen Anna Burns und Adrian McKinty einsortiert. Ihr Porträt der jungen Cushla, ihr Eintreten für ihren ausgegrenzten Schüler, ihre Affäre und die Emanzipation in der patriarchalen Gesellschaft , die Schilderung der Lebensumstände im Belfast der 70er zur Hochzeit der Troubles – all das ist wirklich gut erzählt und verdient eine große Empfehlung!


  • Louise Kennedy – Übertretung
  • Aus dem Englischen von Claudia Glenewinkel und Hans-Christian Oeser
  • ISBN 978-3-96999-259-3 (Steidl)
  • 320 Seiten. Preis: 25,00 €
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Annie Ernaux – Der junge Mann

Ein Blick in die Schreibwerkstatt Annie Ernaux‚ und weit mehr als eine nachgereichte Gabe zur Verleihung des Literaturnobelpreises im vergangenen Jahr: ihre kurze autobiographische Erzählung Der junge Mann, die von einer Affäre genauso wie von Klassenunterschieden und dem Aufstiegsstreben erzählt.


Der Blick auf die reinen Äußerlichkeiten des Buchs lässt zunächst den Eindruck einer Mogelpackung entstehen, die ihren dünnen inneren Gehalt geschickt kaschieren soll. Gerade einmal vierzig recht spärlich und in großer Type bedruckte Seiten, dazu noch ein paar Seiten mit einer Werkauswahl der bei Suhrkamp erschienenen Bücher von Annie Ernaux, fertig ist Der junge Mann.

Ist das nicht eigentlich eher eine kleine Erzählung, die in einem Sammelband besser aufgehoben wäre, die hier mit viel Mühe und merkantilem Geschick zu einem Buch mit ambitionierter Preisgestaltung aufgeblasen wird?

Nein, auch wenn man das Buch als Leser wohl nicht länger als zehn Minuten brauchen dürfte. Denn das Buch nimmt im Schreiben von Annie Ernaux durchaus eine spannende Doppelrolle ein, ist es doch eine autobiographische Erzählung, die sich in ihr gesamtes Oeuvre einfügt und anknüpft. Zugleich ist Der junge Mann auch Werkstattbericht und Auskunft über Ernaux‘ eigenes Schreiben, der die prägenden Erzählthemen und den erzählerischen Ansatz noch einmal vor Augen führt.

Eine Affäre mit dem Zeug zum Skandal

Dabei beginnt alles wie eine umgekehrte Version von Peter Maffays Und es war Sommer.

Mein Gedächtnis lieferte mühelos Bilder vom Krieg, von amerikanischen Panzern in La Vallée, Lillebonne, von Plakaten mit General de Gaulle und seinem Käppi, von Demos im Mai 1968, und jetzt war ich mit jemandem zusammen, dessen frühste Erinnerungen bis zur Wahl von Giscard d’Estaing zurückreichten, wenn überhaupt.

Annie Ernaux – Der junge Mann, S. 34

Das was Tessa Hadley im vergangenen Jahr in ihrem zu Unrecht kaum beachteten Roman Freie Liebe eindrücklich aber fiktiv beschrieb, Annie Ernaux hat es in der Realität selbst erfahren. Die leidenschaftliche Affäre mit einem jungen Mann, die sie als mittelalte Frau mit einem eigentlich festen Platz im Leben beginnt. Noch einmal die eigene Studentenzeit erleben, noch einmal den Rausch des Begehrens und der völligen Hingabe. Das ist es, was sie mit dem titelgebenden jungen Mann sucht und erlebt, wobei der junge Mann in ihrer Erzählung eigentlich ein konturloser Schemen bleibt, der nicht einmal einen Namen erhält.

Annie Ernaux und der junge Student

Annie Ernaux - Der junge Mann (Cover)

Die Affäre, in die sie sich kurz vor Beginn der Jahrtausendwende stürzt, ist dazu angetan, gesellschaftlich den Stab über sie zu brechen. Denn wenn sich ein Mann eine deutlich jüngere Geliebte nimmt oder sich in eine Affäre stürzt, dann ist das etwas, das gesellschaftlich kein Aufsehen erregt und weithin akzeptiert ist. Der umgekehrte Fall hingegen ist weitaus mehr dazu angetan, Aufsehen und offene Ablehnung hervorzurufen. Das muss auch Annie Ernaux selbst erleben, nicht nur am Strand von Capri, wo sie mit ihrem jugendlichen Geliebten den Sommerurlaub verbringt.

Sie mit 54 Jahren in der Menopause, er ein junger Student ohne viel Geld in einer bescheidenen Studentenbude. Und doch stürzen sich beide mit Wucht in diese Affäre, bei der Ernaux die Wochenenden bei ihm in Rouen verbringt, wo sie auch selbst einst studierte.

Er begegnete mir mit einer Leidenschaft, wie ich sie mit vierundfünfzig Jahren noch bei keinem Mann erlebt hatte.

Annie Ernaux – Der junge Mann, S. 17

Die Affäre mit dem jungen Studenten wird zugleich zum Portal in ihre eigene Vergangenheit, wenn in der Wohnung zum Liebesspiel Musik der Doors erklingt und sie in ihrer postkoitalen Ermattung auf der am Boden liegenden Matratze auf das gegenüberliegende ehemalige Krankenhaus Hôtel-Dieu blickt, in dem sie einst 1963 eine Abtreibung vornehmen ließ (was sich so wieder wunderbar ins Oeuvre Ernaux‘ einfügt, schließlich erzählte sie bereits in Das Ereignis von dieser Erfahrung).

Re-Enactment der eigenen Studentenzeit

Der junge Mann dient Annie Ernaux zum Re-Enactment ihres eigenen Lebens, ihrer Studentenzeit und jener Phase, mit der sie als arrivierte und gebildete Autorin eigentlich schon längst abgeschlossen hatte.

Mit ihm durchlief ich alle Alter des Lebens, alle Alter meines Lebens

Annie Ernaux – Der junge Mann, S. 21

Neben der Leidenschaft und der Zeitreise zurück in ihre eigene Studentinnenzeit zeigt ihr die Affäre aber auch ihr eigenes Vorankommen in der französischen Gesellschaft auf. Denn während der junge Mann in Armut lebt und sich mit kreativen Spartricks über Wasser hält, ist es doch ein gesellschaftlich gesetztes Leben, das Ernaux führt. Zwei Kinder mit einem Lehrer, akademische Bildung, literarische Erfolge als Autorin, alles ist da. Im Kontakt zu ihrer Affäre, der aus dem Prekariat stammt, dieses aber mitsamt sämtlicher habituellen Gepflogenheiten vom ostentativen Nicht-Wählen bis hin zu mangelnden Tischmanieren gar nicht ablegen will, kommt sie sich wie eine Bildungsbürgerin vor, die längst einen intellektuellen, aber vor allem sozialen Abstand zum Milieu und Habitus der Studentenwelt gewonnen hat.

So dient ihr die Affäre auch zur Selbsterkundung und zur Betrachtung des eigenen Lebensweges, auf dem sie mit dem jungen Studenten noch einmal mehr als nur einige Schritte zurückmacht, ehe die Affäre dann mit dem Beginn des neuen Jahrtausends endet. Die Klassenunterschiede, die in dieser Affäre offenbar werden, sie sind sowieso ein Lebensthema im Schreiben der Autorin – und in diesem Text wird das erneut ganz deutlich.

Die Poetik von Annie Ernaux‘ eigenem Schreiben

Was dieser Text zudem deutlich zeigt, das ist, wie Ernaux schreibt und ihre Poetik funktioniert. Denn das Konzept ihres Schreibens und ihres schreibenden Selbstverständnisses ist diesem Buch vorangestellt:

Wenn ich die Dinge nicht aufschreibe, sind sie nicht zu ihrem Ende gekommen, sondern wurden nur erlebt.

Annie Ernaux – Der junge Mann

Das beweist der Text ganz deutlich. Denn die Französin gesteht, dass sie den Abschluss eines Lebensabschnitts oder Erlebnisses braucht, um ihn schreibend zu verarbeiten. So ist die sich auflösende Beziehung zu dem jungen Studenten Ausgangspunkt für den Erfolg ihres Schreibprojekts über ihre eigene Abtreibung (wobei sie das Abstoßen des Fötus mit dem Abstoßen von der Beziehung mit dem Studenten engführt). Erst wenn etwas vorbei ist, dann kann etwas die Verschriftlichung beginnen. Das zeigt auch Der junge Mann und ist dadurch so etwas wie ein Schlüssel zum literarischen Selbstverständnis der Nobelpreisträgerin und das rechtfertigt in meinen Augen auch die große Form der Aufmachung, die keinesfalls eine Mogelpackung, sondern ein Schlüsseltext zum Werk von Annie Ernaux ist.

Fazit

Selbstbeschreibung und Selbsterkundung in einer Welt mit festgeschriebenen Rollenbildern, das Zertrümmern von Tabus, die radikale Offenheit, sie zeichnen Annie Ernaux‘ Schreiben aus. Und in Der junge Mann tritt genau das ganz deutlich zu Tage. Deshalb ist der Text weit mehr als nur ein kleiner literarischer Baustein im Gesamtgefüge von Ernaux‘ Werk, sondern ein zentraler Pfeiler, der ihr Schreiben und ihren Blick auf die Weltkonzentriert bündelt. Der Text zeigt fokussiert die schriftstellerischen Anliegen und Themen im Werk der Nobelpreisträgerin. Mit ihrem neuesten Buch erklärt uns Annie Ernaux, wie sie die Welt sieht und beschreibt. Und nicht zuletzt zeigt Der junge Mann, wie viel in einem kleinen Textkondensat stecken kann.


  • Annie Ernaux – Der junge Mann
  • Aus dem Französischen von Sonja Finck
  • ISBN 978-3-518-43110-8 (Suhrkamp)
  • 48 Seiten. Preis: 15,00 €
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Karine Tuil – Diese eine Entscheidung

Zwischen Wissen und Gewissen, Vernunft und Impuls pendelt in Karine Tuils neuem Roman die Antiterror-Staatsanwältin Alma Revel. Sie muss Diese eine Entscheidung treffen, die unmittelbare Konsequenzen für sie und ihr Umfeld haben wird. Darf man einen potentiellen Attentäter in vorbeugende Haft nehmen, auch wenn eigentlich alle Zeichen für eine De-Radikalisierung sprechen? Welchen Preis sind wir bereit, für unsere Freiheit zu zahlen?


Mit diesen Fragen bekommt es Alma Revel ganz unmittelbar zu tun. Denn im Namen des Staates soll sie im Fall von Abdeljalil Kacem entscheiden, der zusammen mit seiner Frau Sonja Dos Santos aus Syrien nach Frankreich heimgekehrt ist. Die Frage, vor der die Antiterror-Staatsanwältin nun steht, ist eine, die man auch aus der Serie Homeland kennt. Geht von dem Kacem und seiner Frau eine unmittelbare Gefahr aus – oder ist die Beteuerung des Heimkehrers glaubwürdig, dass ihm die Zeit dort im IS-Herrschaftsgebiet die Augen geöffnet hat? Hat er wirklich dem Fanatismus abgeschworen – oder sind das nur vordergründige Lippenbekenntnisse? Keine leichte Entscheidung, die Alma treffen muss, vor allem da sie auch privaterweise gerade gefordert ist.

Ich heiße Alma Revel. Ich bin am 7. Februar 1967 in Paris zur Welt gekommen.

Ich bin neunundvierzig Jahre alt.

Ich bin die einzige Tochter von Robert Revel und Marianne Darrois.

Ich bin französische Staatsangehörige.

Getrennt lebend, Mutter von drei Kindern.

Ich bin Ermittlungsrichterin in der Abteilung Terrorismusbekämpfung.

Karine Tuil – Diese eine Entscheidung, S. 15

Alma vermengt auf ungute Weise Privates und Dienstliches. Denn getrennt von ihrem Mann lebend stürzt sie sich in eine Affäre ausgerechnet mit dem Mann, der Abdeljalil Kacem vor Gericht verteidigt. Bald schon verschwimmen die Grenzen. Das Private beeinflusst die Anwältin, deren professionelles Urteilsvermögen schon bald empfindlich getrübt wird – mit katastrophalen Folgen, wie sich zeigen wird.

Probleme mit dem gewählten Erzählansatz

Karine Tuil - Diese eine Entscheidung (Cover)

Dabei erweist sich in Diese eine Entscheidung die von Karine Tuil gewählte Erzählkonstruktion leider als deutlicher Schwachpunkt. Denn der eigentlichen Handlung vorangestellt ist ein Prolog, in dem Alma die auf einem Bildschirm die Auswirkungen eines brutalen Attentats zu sehen bekommt. Die Frage, die im folgenden Text und den dazwischengeschalteten Verhörprotokollen über zwei Drittel des Buchs erörtert wird, ist damit eigentlich schon hinfällig. Inwieweit ist die Wandlung des IS-Sympathisanten Kacem glaubhaft? Diese Frage, auf der der Spannungsbogen beruht, sie ist schon vorab gelöst und verpufft damit recht wirkungslos. Zu keinem Zeitpunkt gibt es in den ersten Dritteln damit wirkliche Spannung oder Neugier.

Stattdessen läuft das Buch auf einen klaren Punkt hinaus, der schon initial bekannt ist, wenngleich Karine Tuil die Gewissensabwägungen und Entscheidungen im Prozess glaubhaft darstellt und gerade Alma Revel in ihrem undankbaren Job, als Mutter und Geliebte durchaus facettiert darstellt. Aber überraschend ist an der ganzen Erzählung nicht. Bis im letzten Drittel die Konsequenzen von Almas Entscheidung Thema sind.

Späte Wucht

Plötzlich hat Diese eine Entscheidung jene Wucht, die dem Buch in den beiden vorherigen Dritteln fehlte. Ohne zu viel verraten zu wollen, sind die Auswirkungen von Almas Entscheidung fatal und beeinflussen durch ihre professionelle Entscheidung einmal mehr ihr privates Leben. Die Ereignisse in Paris, die im November 2015 die Welt erschütterten, sie werden dann noch einmal ganz unmittelbar und präsent.

Hier zeigt sich Karine Tuil dann die Qualitäten, die ich an ihr als Autorin so schätze. Politik, Gesellschaftskritik an unseren blinden Flecken, Betrachtung unserer Lebensweise aus verschiedenen Blickwinkeln und eine schonungslose Analyse bestehender Zustände und der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit.

All das bietet sie in Diese eine Entscheidung auf – und doch hätte das Buch diese Wirkung in ganz anderer Weise entfaltet, hätte sie sich für eine andere Erzählweise entschieden und den verräterischen Prolog einfach weggelassen.

Fazit

Diese eine Entscheidung ist das Porträt eines eigentlich sehr professionellen Staatsanwältin, die durch ihr Privatleben in ihren Entscheidungen beeinflusst wird – mit katastrophalen Folgen. Karine Tuil gelingt ein nuanciertes Bild einer Frau zwischen Rationalität und Gefühlen, deren Dilemmata sich eindrucksvoll vermitteln. Hätte Tuil dafür allerdings eine bessere Erzählstrategie ohne die allzu verräterische Exposition gewählt, das Buch hätte deutlich gewonnen, davon bin ich überzeugt.


  • Karine Tuil – Diese eine Entscheidung
  • Aus dem Französischen von Maja Ueberle-Pfaff
  • ISBN 978-3-423-29036-4 (dtv)
  • 352 Seiten. Preis: 23,00 €
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