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Michael Maar – Leoparden im Tempel

Ob Elias Canetti, der Oger, das wechselhafte Gemüt Virginia Woolfs oder der Teufel bei Thomas Mann – in seinem wiederveröffentlichten Werk Leoparden im Tempel widmet sich Michael Maar abwechslungsreich den von ihm verehrten Schriftsteller*innen und nimmt ihr Werk und ihre exzeptionelle Bedeutung für die literarische Welt in den Blick.


Man könnte es sich leicht machen mit dem eigentlich nicht ganz so neuen Buch Michael Maars. Nach einer Erstveröffentlichung im Berenberg-Verlag vor sechzehn Jahren erscheint Leoparden im Tempel nun als Neuauflage im Rowohlt-Verlag, gehalten im Design seines 2020 erschienen Stil-Opus Magnum Die Schlange im Wolfspelz.

Schon der Blick auf die schmale Seitenzahl macht klar, dass es sich mitnichten um ein Werk handelt, dass an Maars ebenso voluminöses wie kenntnisreiches Literaturbergwerk anschließt. Vielmehr will er sich den von ihm verehrten Schriftstellern widmen, wobei ein Gendern des Untertitels tatsächlich fast überflüssig scheint. Denn von zwölf Schriftstellerporträts ist lediglich eines einer Frau gewidmet, nämlich Virginia Woolf.

Hier zeigt sich, dass in der den sechzehn Jahren seit Erscheinen des Buchs viel Sensibilisierung gegenüber der hier im Speziellen wie auch im Allgemeinen zuvorderst männlichen Kanonbildung stattgefunden hat. So sei nur an die Aktion #frauenzählen, das daraus entstandene Sachbuchprojekt Frauen Literatur von Nicole Seifert oder die hervorragende Kurzporträtsammlung Dichterinnen & Denkerinnen von Katharina Herrmann erinnert, die dem Maar’schen Männerüberschuss und Geniekult entgegenwirken, der sich in diesem Buch äußert.

Porträts von Schriftstellern

Sollte man es sein lassen? Diese offensichtliche Ungleichbehandlung von Schriftstellerinnen als Anlass nehmen, das Buch in die Ecke zu stellen? Das wäre tatsächlich ein Fehler, denn obgleich die nicht zu leugnende maskuline Schlagseite ebenso wie die veraltete Rechtschreibung des Buchs rückwärtsgewandt scheint, gelingt es Maar vorzüglich, seine Verehrung der offensichtlicheren (Thomas Mann, Franz Kafka) und die hierzulande noch immer zu unbekannten Autoren (Anthony Powell, Gilbert Keith Chesterton) begeisternd vorzubringen und Lust auf ihr Schreiben zu machen (obgleich natürlich Größen wie Ingeborg Bachmann, Marlen Haushofer, Gabriele Tergit oder vergessene Autorinnen wie die gerade wieder neu entdeckte Helga Schubert durchgehend fehlen).

Michael Maar - Leoparden im Tempel (Cover)

Neben solchen Leerstellen merkt man auch den Aufsätze an, dass einige ihrer aufgegriffenen Punkte in der Zwischenzeit etwas anders betrachtet werden müssen. So ist beispielsweise Maars Frage, ob man Giuseppe Tomasi di Lampedusa vielleicht noch mit einer Labelung als Geheimtipp postum die Ehrung verschaffen könnte, die ihm für sein Werk Der Leopard gebührt, in meinen Augen hinfällig. Denn die glänzende Neuübersetzung von di Lampedusa Meisterwerk durch Burkhart Kroeber vor vier Jahren hat doch erheblich Staub von diesem Werk gepustet und dieses neu ins öffentliche Bewusstsein gebracht.

Genauso ergeht es den Klagen, die Maar in seinem Kapitel über Anthony Powell äußert. Dort beklagt er, dass Powell hierzulande völlig unbekannt sei und man ihm dem deutschen Publikum kaum schmackhaft zu machen vermag. Während letztere Beobachtung wahr zu sein scheint, ist die Vermittlungsarbeit doch in der Zwischenzeit weiter geraten (dem Maar auch in dem leicht angepassten Quellenverzeichnis Rechnung trägt, da er dort die 2015 begonnene Neuausgabe von Powells Gesamtwerk unter dem Titel Dance aufführt). So wurde diese Neuausgabe des Werkes im Februar 2016 von Maxim Biller an maximal prominenter Stelle im deutschen Fernsehen vorgestellt, nämlich beim Literarischen Quartett.

Sich verändernder literarischer Zeitgeist

Es sind einige Punkte dieser Art, an denen man feststellen kann, dass sich der literarische Zeitgeist gewandelt hat. So sind neue Blicke und Maßstäbe auf Literatur eingezogen, der Geschmack hat sich gewandelt, kurz: die Zeit seit dem ursprünglichen Erscheinen des Buchs ist nicht stehengeblieben. Das merkt man bei dem Blick auf die Äußerlichkeiten des Buchs durchaus.

Davon unberührt ist aber der Kern von Michael Maars Buch, dem man in seiner ganzen Begeisterung und dem sprudelnden Stil auch Stilblüten wie die folgende gerne verzeiht:

Man merkt seiner [Anthony Powells] Prosa nicht an, dass sie nach Joyce entstand. Um Modeströmungen hat dieser Autor sich nie geschert. Erst jetzt, nachdem sich deren Wasser verlaufen haben, kann man erkennen, wie einsam er herausragt.

Michael Maar – Leoparden im Tempel, S. 111

Jener Kern seiner kurzen Porträts, er gleicht nach wie vor einem brodelnden Magmakern voller heißglühender Lava (um hier einmal den bildhaften und blumigen Stil Maars aufzugreifen). Überraschend seine Erkenntnisse, wenn er etwas die Bedeutung des Teufels im Werk Thomas Manns herausarbeitet oder die ewige Rätselhaftigkeit im Werk Franz Kafkas beschreibt, der es mit seinem Bild der Leoparden im Tempel auch auf den Titel von Maars Buch geschafft hat.

Literaturverehrung, die begeistert

Gelungen stellt Maar auf nur wenigen Seiten die Besonderheiten im jeweiligen Werk der Autoren heraus und erklärt, was ihr Werk so faszinierend und über alle Zeiten erhoben macht. Das tut er in gut lesbaren und nachvollziehbaren Aufsätzen, von denen die Porträts Mann, Nabokov und di Lampedusa in meinen Augen zu den gelungensten zählen.

Aus allen Zeilen spricht die Verehrung Maars, der mit seinen Porträts wie auch später in der Schlange im Wolfspelz seine immense Belesenheit herausstellt. Seine Einführung in das Schaffen der oftmals alles andere als umgänglichen und bescheidenen Autoren macht Lust, sich mit den Werken genauer zu beschäftigen. Er gibt einen Eindruck, wie Literaturvermittlung zu begeistern vermag, wie ein genauer Blick beim Lesen den unverkennbaren Stil zutage treten lässt – und wie man mitreißend davon zu erzählen vermag.

Das wiegt in meinen Augen die klar benennbaren Kritikpunkte an Leoparden im Tempel auf alle Fälle wieder mehr als auf, sodass ich für dieses Büchlein eine große Empfehlung aussprechen möchte. Gerne sei der Band auch als Geschenk allen Literaturfans empfohlen, Ich empfehle im Anschluss an die Lektüre danach dann die Lektüre von Dichterinnen & Denkerinnen, denn dann hat man auch einen ausgewogenen Eindruck von Schriftstellerinnen, die es durchaus auch mit den hier vorgestellten Männern aufnehmen können!


  • Michael Maar – Leoparden im Tempel
  • ISBN: 978-3-498-00398-2 (Rowohlt)
  • 144 Seiten. Preis: 22,00 €
  • Zum Buch bei Yourbookshop
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Baret Magarian – Die Erfindung der Wirklichkeit

Es gibt wirklich spektakulärere Leben als jenes, das Oscar Babel führt. Nachdem der Erfolg und die Inspiration als Maler ausblieben, fristet er nun als Kinovorführer sein Dasein. Da ihm dieses Leben zu trist ist, beschließt sein Bekannter Daniel Bloch zumindest auf dem Papier für etwas Schwung in Babels Leben zu sorgen. Doch die Fiktion wird schnell zur Realität – mit ungeahnten Folgen, wie Baret Magarian in Die Erfindung der Wirklichkeit zeigt.


Es sind zunächst äußerst subtile Änderungen, die Bloch seiner Version von Oscar Babel auf den Leib schneidert beziehungsweise schreibt. Er mag plötzlich die Kompositionen Wagners und sein Vermieter, in realiter ein echter Haustyrann, umschlingt diesen mit Liebe. Beängstigend wird es allerdings, als diese auf dem Papier erdachten Veränderung tatsächlich in Babels Leben Einzug halten. Sein Vermieter ist frisch verliebt, Tristan und Isolde üben plötzlich einen hohen Reiz auf Babel aus, er wird zum Aktmodell – und ein Kätzchen läuft ihm auch noch zu.

Bei diesen Veränderungen bleibt es nicht – denn Babel gerät in den Fokus des Medien-Impressarios Ryan Rees, der Babel zu einer Art modernem Propheten aufbauen will. Er steckt viel Geld in eine Kampagne, die Oscar Babel bekannt machen soll. Bei der Verleihung des Duchamp-Preises beleidigt er die anwesenden potentiellen Preisträger*innen, später werden einzelne Reden von Babel aufgenommen und entwickeln sich zum Hit. Und dann bucht Rees auch noch den Park Kensington Gardens, wo Babel erstmals vor großem Auditorium auftreten soll. Dieser Gig entwickelt sich dann aber völlig unerwartet und weckt an Erinnerungen an das Geschehen, das einst ein literarischer Antiheld namens Jean-Baptiste Grenouille mit seinem Parfum auf dem Marktplatz von Grasse auslöste.

Der Aufstieg des einen, der Abstieg des anderen

Während Oscar Babel zum Stadtgespräch avanciert, geht es mit dem Initiator von Babels Aufstieg immer weiter bergab. Bloch will nach den beängstigenden Ergebnissen seiner Fiktion von Babels Neuschreibung ablassen – und wird immer kränker, während den Menschen um ihn herum allzu Unwahrscheinliches geschieht.

Baret Magarian - Die Erfindung der Wirklichkeit (Cover)

Davon erzählt Baret Magarian, der mit Die Erfindung der Wirklichkeit nun zum ersten Mal auf Deutsch zu lesen ist. Ähnlich wie seine Figur Oscar Babel hat auch Magarian schon als Aktmodell gearbeitet, zudem nennt der Verlag noch Tätigkeiten als Theaterregisseur, Übersetzer, Musiker oder Dozent, derer der Autor mit anglo-armenischen Wurzeln schon nachgegangen ist.

Seinem Buch stehe ich etwas zweigespalten gegenüber. So ist die Idee eines Aufstiegs eines Nobodys durch literarische Fiktion und skrupellose Medienmanager hin zu einem vieldiskutierten Mann mit hoher Reichweite durchaus interessant. Vor allem in Bezug auf das Spiel mit der Öffentlichkeit, die in Babel Dinge sehen möchte, die er gar nicht vorweisen kann, ist das Buch durchaus interessant und weist einige Parallelen zur Gegenwart auf.

Dennoch funktioniert das Buch für mich leider nicht wirklich. Mit Humor ist es ja eh so eine Sache, ist er doch höchst subjektiv und erreicht Menschen ganz unterschiedlich. Hier war ich für die Satire, die von vielen Seiten aus gepriesen wird, nicht wirklich empfänglich. Und auch in der „Gesellschaft der modernen europäischen Meister“ sehe ich dieses Buch im Gegensatz zum Klappentextlob von Jonathan Coe nicht wirklich, selbst wenn Magarian seinem Buch ein Zitat aus Bulgakows Der Meister und Magarita voranstellt.

Eine Nummernrevue und alberne Figurennamen

Das beginnt mit der Benennung von Figuren wie eben Oscar Babel, Vernon Lexicon, Tracy Fudge oder einer Journalistin namens Rebecca Murdeck, die man durchaus als satirisch bezeichnen kann, ich allerdings nur albern fand. Mag man über solche geschmacklichen Petitessen noch streiten, reichen meine Schwierigkeiten – und hier wird es deutlich gravierender – bis zur Struktur des Buchs selbst, das mir zu oft in eine klamaukige Nummernrevue zerfällt, anstatt eine stringente Geschichte zu erzählen.

So gibt es immer wieder eine komische Szenen wie die des Wahrsagers Alexi Sopso (auch hier wieder so ein überdrehter Name), der sich als völliger Dilettant seiner Zunft herausstellt. Das hält ihn dennoch nicht davon ab, seine Kundin zu überreden, bei einem Abendessen mit seinen strengen Eltern als Alibi-Freundin zu fungieren. Auch andere Szenen offenbaren Magarians Sinn für Komik, etwa wenn eine Figur ihr eigenes Haus anzündet oder Babel bei einem äußerst merkwürdigen Dreh für einen Dokumentarfilm zugegen ist.

Insgesamt fehlt der Geschichte in meinen Augen aber etwas der Zug und der klare Fokus auf die Erzählabsichten Baret Magarians. Sein Handling der Figuren ist nicht immer ganz souverän, denn während Bloch ziemlich schnell aus dem Fokus gerät, schieben sich andere Nebenfiguren in den Vordergrund, um erst viele Dutzend Seiten später wieder eine Rolle zu spielen, während sich immer wieder wirre Pamphlete Blochs oder Online-Artikel im Buch finden, die das Ganze etwas zerfahren wirken lassen. Darüber hinaus befremdeten mich Formulierungen wie die der Essenstafel beim Duchamp-Preis, die im Lauf des Abends langsam vergewaltigt wird.

Fazit

An solchen Stellen hatte ich das Gefühl, dass Magarian selbst seine Fabrikation, wie der Titel im englischen Original heißt, etwas entglitten ist. Vielleicht bin ich aber auch einfach nicht sonderlich empfänglich für den im Buch gepflegten Humor dieser parabelhaften Satire und kurzum schlicht der falsche Leser. Aber mit etwas mehr erzählerischem Zug, klareren Fokus auf die Hauptfiguren und eine weniger ausufernde Erzählweise hätte es vielleicht geklappt mit mir und der Erfindung der Wirklichkeit. So bleibt bei mir leider der Eindruck einer lauwarmen und deutlich zu langen Satire, der einige Straffungen gutgetan hätten.


  • Baret Magarian – Die Erfindung der Wirklichkeit
  • Aus dem Englischen von Cathrine Hornung
  • ISBN 978-3-85256-861-4 (Folio Verlag)
  • 481 Seiten. Preis: 28,00 €
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Francesca Reece – Ein französischer Sommer

Eine junge Engländerin, die sich etwas orientierungslos durch ihr Leben in Paris schlägt. Ein arrivierter Schriftsteller, der per Anzeige jemanden als Sekretär oder Sekretärin sucht, um über die Sommermonate hinweg seine Tagebücher zu sichten und zu ordnen. Und ein Aufeinandertreffen dieser beiden Figuren in der sommerlichen Hitze der französischen Südküste. Könnte im Klischee enden? Tut es tatsächlich nicht, denn Francesca Reeces Debüt Ein französischer Sommer erzählt von Lebenslügen, der Verdrängung der eigenen Vergangenheit und der Unbeschwertheit, die natürlich kein dauerhafter Zustand ist. Kein ganz rundes Debüt, aber ein passables Sommerbuch.


Leah ist eine Figur, wie sie sich auch Sally Rooney ausgedacht haben könnte. Mitte zwanzig lässt sich die junge Britin recht orientierungslos durch ihr Leben treiben, das sie nach Paris geführt hat. Ein Job im Szenecafé, viele Gespräche mit ihrer Freundin Emma, Partys, Alkohol, Sex und Streifzüge durch die Stadt. So sieht Leahs momentanes Leben aus, dem eine Anzeige im Pariser Stadtmagazin FUSAC die Wende bringt. Dort entdeckt sie folgende Annonce:

AUTOR SUCHT ASSISTENT/IN ZUR UNTERSTÜTZUNG BEI ARCHIVARBEIT/RECHERCHE FÜR NEUEN ROMAN.

Mit einem shaekspearischen oder klassischen Namen brauchen Sie sich nicht zu bewerben.

PARIS UND SÜDEN. TEILZEIT. MICHAEL: 01.14.24.60.86

Francesca Reece, Ein französischer Sommer, S. 12

Und obwohl das Telefonat zunächst nicht den gewünschten Erfolgt zeitigt, erhält Leah die Stelle über Umwege dann doch noch. Bei ihrem Arbeitgeber handelt es sich um den Literaten und Bohemien Michael Young.

Briten in Frankreich

Seine Stimme war Teil der genetischen Ausstattung der englischen Literaturlandschaft seit Ende der Siebziger gewesen, als sein erster Roman, Richards Fall, erschienen war. Bis ins neue Jahrtausend hinein hatte er am laufenden Band zynische moderne Klassiker produziert und genoss die Bewunderung des Establishments der alten Garde genauso wie er von den gebildeten Möchtegern-Rebellen geschätzt wurde, die sich im Filmklub Apocalypse Now anschauten und für David Foster Wallace die Abkürzung DFW benutzten.

Francesca Reece – Ein französischer Sommer, S. 42

Die Arbeit für den Autor, dessen letzter Roman irgendwann um die Jahrhundertwende herum erschien, führt Leah in das Sommerdomizil von Michaels Familie an der französischen Südküste. Dort sichtet Leah die Tagebücher, die sie tief in die umtriebige Persönlichkeit des Literaten eintauchen lassen. Und Michael spürt sein literarisches Talent wiederkehren, während Partys gegeben werden, Leah im Meer badet und die einheimische Bevölkerung näher kennenlernt. Doch ein Paradies ist auch Saint Luc natürlich nicht, denn in der Vergangenheit von Michael gibt es einige dunkle Schatten, die sich dort am Meer in jenem französischen Sommer nun Bahn brechen.

Zwei Erzähler, zwei Generationen, zwei Leben

Francesca Reece - Ein französischer Sommer (Cover)

Francesca Reeve hat einen Roman geschrieben, der abwechselnd aus der Perspektive von Leah und Michael erzählt ist. Neben dem Handlungsstrang der Gegenwart spielt auch die Vergangenheit in England eine wichtige Rolle. Während Leah die Tagebücher Michael Youngs sortiert und sichtet, lernt man in Rückblenden den jungen Michael kennen, der es in Sachen Orientierungslosigkeit und Umtriebigkeit durchaus mit der Leah der Gegenwart aufnehmen kann. Während sich in Saint Luc die Situation zuspitzt, erlebt man in den Erinnerungen Michaels noch einen weiteren prägenden Sommer, der dann allerdings in Griechenland statt in England oder Frankreich spielt.

Das Ganze erinnert in manchen Passagen (besonders den in Griechenland spielenden Episoden) an die jüngst erschienen Romane Sommer der Träumer von Polly Samson oder Lawrence Osbornes Welch schöne Tiere wir sind, nicht nur aufgrund des gleichen Schauplatzes, sondern auch aufgrund der Sezierung von Gruppendynamiken, Liebe und Täuschung in der sommerlichen Hitze.

Was Ein französischer Sommer dann im Vergleich zu diesen Titeln in meinen Augen etwas schwächer macht, ist das Gefühl, hier ein paar lose Erzählstränge zu lesen, die sich als Buch nicht ganz kompakt und überzeugend runden und etwas unverbunden nebeneinander stehen.

So gibt es die Einzelteile des jungen Slacker-Lebens von Leah im Stile von Sally Rooney, die Episoden vom Dolce-Vita-Leben an der Südküste im Sommerhaus der Familie und die Episoden aus Michaels Vergangenheit. Die Teile für sich sind gut gemacht, fügen sich aber nicht immer homogen ein oder passen in ihrem Ton und dem erzählten Inhalt nicht unbedingt immer zueinander. Hier zeigt sich Optimierungspotenzial für weitere Romane von Francesca Reece, die ihre Erzählstränge noch etwas sorgfältiger miteinander verknüpfen sollte, um ein einheitliches und überzeugendes Ganzes abzuliefern.

Fazit

Zwei Leben, zwei Generationen Exilbrit*innen und dazwischen viel Diskurse um Kultur und Schreiben. Sommern an der französischen Südküste, das süße Leben der Boheme und die Frage, wie viel Sein und wie viel Schein ist, das beschäftigt Francesca Reece in ihrem Debüt, das sich als passables Sommerbuch irgendwo zwischen Sally Rooney, Claire Fuller und Miranda Cowley-Heller einordnet.


  • Francesca Reece – Ein französischer Sommer
  • Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller und Tobias Schnettler
  • ISBN 978-3-10-397068-5 (S. Fischer)
  • 448 Seiten. Preis: 24,00 €
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Agnes Krup – Leo und Dora

Das ist nun wirkliches Pech. Nach einer langen Überfahrt aus Tel Aviv nach New York möchte Leopold Perlstein eigentlich bei seiner bei seiner Agentin Alma und deren Mann absteigen. Doch ein Feuer hat deren Haus und Auto vernichtet. Beide sind abgereist und haben ihm stattdessen eine Unterkunft im Roxy organisiert. Das im Bundestaat New York an der Grenze zu Connecticut gelegene Hotel hat schon bessere Tage gesehen. Die Hotelbesitzerin Dora und der unter Schreibblockaden leidende Perlstein gewöhnen sich langsam aneinander und entdecken dort in Neuengland Gemeinsamkeiten. Leo und Dora von Agnes Krup.


Man muss unweigerlich an zwei der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts denken, wenn Agnes Krup auf den ersten Seiten ihren Protagonisten Leopold Perlstein einführt. Ein schreibender Versicherungsangestellter, der nach seiner Flucht aus Wien in Tel Aviv eine Anstellung gefunden hat. Ein Mann, der bei seiner Überfahrt in ein neues Leben im Jahr 1948 von einem Schachbrett und seiner Leidenschaft für das Spiel der Könige begleitet wird. Und ein Mensch, der im Exil wieder schriftstellerische Erfüllung sucht und auf Drängen seines Verlegers ein neues Werk vorlegen soll, um sich endgültig von seiner Herkunft und seinem Brotberuf freimachen zu können. Das sind die Nöte und biographischen Hintergründe, mit denen Krup ihren Helden versieht und die mich an Franz Kafka und Stefan Zweigs Schachnovelle erinnerten – wenngleich, so viel so schon verraten, Agnes Krup literarisch nicht in deren Nähe kommt.

Ein Hotel mit eigenen Regeln

Agnes Krup - Leo und Dora (Cover)

Das heruntergekommene Hotel Roxy fordert den frisch angekommenen und auf Konstanz bedachten Perlstein nun ganz gehörig heraus. So stehen die Tische mal zusammen, mal am Wochenende allein, das Essen, von einer aus Plochingen stammenden Schwäbin zubereitet, ist nahezu ungenießbar. Und vom Esprit der gehobenen europäischen Boheme ist die Hotelgemeinschaft so weit entfernt wie New York von Tel Aviv.

Nur das Ehepaar Geringer mit der jungen Asha und ihrem deutlich älteren Professoren-Gatten, dessen Passion inzwischen der Klematiszucht gilt, verheißt Perlstein Ansprache und intellektuellen Austausch. Allmählich lernt er die Hintergrundgeschichte des Hotels, die seiner Besitzerin und die der Geringers kennen. Er fährt Automobil, geht baden und versucht sich sogar einer Geisteraustreibung, da es im Hotel immer wieder spukt.

Eine nette Geschichte

Agnes Krup hat mit Leo und Dora eine nette und unterhaltsame Geschichte geschrieben. Sie erzählt von der langsamen Annäherung der unterschiedlichen Figuren Leopold und Bernstein, sie lässt ein Exilantenschicksal aufscheinen, reißt die Geschehnisse in Wien an, die Leo zur Flucht gezwungen haben. Auch als Sommerbuch oder Hotelroman lässt sich Krups Roman lesen. Und doch vermisste ich das gewisse Etwas an der Erzählung, das mir Leo und Dora über das Buchende hinaus im Kopf verankert.

Krups Sprache passt, die formale Gestaltung ist durch die chronologische Einteilung in Tage gediegen, die innere Struktur ist durch die Annäherung von Leo und Dora vorgegeben und wird gut befolgt. Dagegen lässt sich wirklich nicht viel einwenden – und doch hätte ich mir etwas mehr gewünscht, damit dieses Buch aus dem guten Mittelmaß herausragt. Besondere Figuren mit Ecken und Kanten, eine Sprache, die sich nicht nur mit der Auskleidung der Erzählung begnügt, ein überraschendes Ende oder etwas anderes Unerwartetes.

Fazit

Aber das Unerwartete blieb leider aus, sodass ich nicht davon ausgehe, die Leo und Dora lange über die Lektüre hinaus im Kopf zu behalten. Das mag vielleicht ungerecht erscheinen, macht das Buch doch nichts falsch und ist als Roman wirklich nicht schlecht. Nur das Besondere, das Bedenkenswerte, ich habe es hier leider nicht gefunden. Und so bleibe ich immer noch ins Sachen Hotelroman bei James Gordon Farrells Troubles, in Sachen Exilantenschicksal bei Ulrike Draesners Schwitters oder bei Ulrich Becher mit seiner Murmeljagd, die sich für mich intensiver im Lesegedächtnis verankerten, als das, was Leo und Dora bietet. Gewiss, es ist kein schlechtes Buch, aber es hält eben auch nur das bereit, was Cover und der Titel schon andeuten und versprechen. Wem das genügt, der dürfte zufrieden sein. Ich hätte mir mehr gewünscht.


  • Agnes Krup – Leo und Dora
  • ISBN 978-3-351-03899-1 (Aufbau)
  • 285 Seiten. Preis: 22,00 €
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Ein Autor fragt sich

Eshkol Nevo – Die Wahrheit ist

Als Schriftsteller*in kennt man die Situation. Man hat ein Buch geschrieben, ist auf Lesereise, signiert in Buchhandlungen und führt Interviews. Interviews, die sich meist ähneln. Da ist zumeist die Frage nach den biographischen Bezügen des Werks, die Frage nach dem Schreibprozess. Von Zeit zu Zeit sind die Interviewenden schlecht vorbereitet, haben das Buch nur in Auszügen oder gar nicht gelesen. Und spätestens nach der fünften gleichlautenden Frage fühlt man sich doch wie in einer Schleife gefangen. Wie wäre es denn da, wenn man die Fragesteller*innen gleich ganz wegließe? Wenn man sich der Einfachheit halber gleich selbst interviewt und sich den eigenen Fragen stellt?

Eshkol Nevo - Die Wahrheit ist (Cover)

Wie so etwas aussehen kann, das zeigt Die Wahrheit ist, das neue Buch des israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo. Nevo zählt zu den wohl bekanntesten Autoren seines Landes, zuletzt wurde sein Roman Über uns publikumswirksam im Literarischen Quartett diskutiert.

Zweifelsohne hat Eshkol Nevo Erfolg – doch bei der Lektüre seines Buchs könnte man auf andere Gedanken kommen. Da wird ein Autor interviewt, der denselben Namen wie der bekannte Schriftsteller trägt, dessen Leben aber überhaupt nichts Glamouröses hat. Die Interviewerin stellt ihm Fragen zu seinem Schreiben, seiner eigenen Geschichte, biographischen Hintergründen, Verfilmungen seiner Bücher und viel mehr. Durch die Fragen ergibt sich langsam das Bild eines Mannes, dessen Fundament wankt.

Ein Autor wankt

Die Ehe mit seiner Frau kriselt oder ist vielleicht schon gescheitert. Filmproduzenten wollen seine Bücher für die große Leinwand komplett umschreiben. Sein Engagement als Redenschreiber für einen Politiker sollte besser geheim bleiben. Die Bindung zu seinen Kindern wird immer brüchiger, weshalb Nevo schon begonnen hat, seine eigene Tochter zu stalken. Und dann ist da auch noch eine Dysthymie, die ihn quält und vom Schreiben abhält. Dieser Autor wankt und schwankt.

Ohne Kapitel, nur durch die Fragen gegliedert, schreibt sich Nevo in diesem zu einem Buch gewordenen Selbst-Interview durch sein vermeintliches Leben (aus dem Hebräischen übersetzt von Markus Lemke). Keine Station aus Vergangenheit und Gegenwart wird ausgelassen. Allmählich ergibt sich durch die teilweise recht assoziativ und sprunghaft beantworteten Fragen das Leben des Interviewten.

Nun boomt nicht erst seit Annie Ernaux und Karl-Ove Knausgard das Genre der Autofiktion. Das Spiel mit Echtem und Erdachtem, das Anlocken der Leser*innen mit vermeintlicher Nähe und Authentizität, es fasziniert immer mehr Autoren. Auch Eshkol Nevo ist dieser Anziehung erlegen. Doch wie sieht es aus mit der Wahrheit? Wie ist das Buch gelungen? Die Wahrheit ist:

Das Besondere, es fehlt

Dabei sitzt der israelische Autor leider einem Fehler auf, den viele Autor*innen begehen, die sich in diesem Genre umtun. So sind viele der geschilderten Viten und Erlebnisse für meine Begriffe überhaupt nicht spannend und schaffen es auch nicht, durch literarische Gestaltungsmittel zu überzeugen. Auch Eshkol Nevo fällt für meine Begriffe leider in diese Kategorie.

Um mich persönlich bei der Stange zu halten, braucht es mehr als eine Schilderung des Lebens als weißer, mittelalter Mann mit Beziehungsproblemen. Geschichten und Schilderungen von Menschen mit depressiven Zügen, mit Amouren, Reisen und Schreibblockaden gibt es ja en Masse.

Wo ist das Besondere, das mich auf über 400 Seiten bei der Stange hält? Die interessanten Brüche in der Vita? Die sprachliche Meisterschaft, die aus einem durchschnittlichen Leben eines Schriftstellers etwas Unverwechselbares macht? Das alles habe ich in dieser Nabelschau namens Die Wahrheit ist leider nicht gefunden.

Natürlich, die geschilderten Episoden um Lesungen hinter der Grünen Grenze und Erlebnisse aus dem Alltag in Israel sind durchaus spannend. Aber diese Episoden nehmen sich gegen die wehleidigen An-und Abstoßung seiner Frau, vermeintliche Amouren oder Kindheitsgeschichten seiner zwei Freunde leider doch als Minderheit aus. Es dominiert das Kreisen um das eigene Ego. Und für besonders lesenswert halt ich das Ganze eben mitnichten.

Das, was Celeste Ng sagt

Hier kommt leider ein Satz zum Tragen, den die großartige, ebenfalls bei dtv verlegte Celeste Ng jüngst in einem Interview über ihre Leseerfahrung mit dem großen Ego-Isten Karl-Ove Knausgård äußerte:

The book I think is most overrated

My Struggle by Karl Ove Knausgård. What really frustrates me about it is that, for centuries, extremely average straight white men get volumes to tell every detail of their lives, while stories by anyone else (especially women and people of colour) have to fight to be published at all.

Das Buch, das ich für am überschätztesten halte

Mein Kampf (auf Deutsch unter den Titeln Sterben, Spielen, Lieben etc. publiziert) von Karl Ove Knausgård. Was mich daran ärgert ist, dass extrem durchschnittliche weiße Männer seit Jahrhunderten allen Platz eingeräumt bekommen, um jegliches Detail ihres Leben zu schildern, während die Geschichten von allen anderen (besonders Frauen und People of Color) um ihre Veröffentlichung kämpfen müssen.

Celeste Ng: I couldn’t finish Knausgård’s My Struggle. Time is finite. Guardian online

So muss ich für meinen Teil leider konstatieren: Die Wahrheit ist, dass ich diesen Ausflug Eshkol Nevos ins Genre der Autofiktion für etwas überflüssig halte. Ein Buch, das weder auf sprachlicher noch auf inhaltlicher Ebene wirklich überzeugen kann. Und das trotz der charmanten Idee des Selbstinterviews.

Andere Meinungen zum Buch gibts bei Spiegel Online sowie Letteratura und Buchrevier.

  • Eshkol Nevo – Die Wahrheit ist
  • aus dem Hebräischen von Markus Lemke
  • Deutsche Erstausgabe, 432 Seiten
  • ISBN 978-3-423-28219-2, dtv-Verlag
  • Preis: 22,00 €
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