Kurz und gut

Frank Schirrmacher – Die Stunden der Welt

Eine Neuauflage ist der Titel Die Stunden der Welt des mittlerweile schon verstorbenen FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher. Ursprünglich erschien dieses Buch im Jahr 1996, nun hat sich der Blessing-Verlag des Buchs angenommen und spendiert eine Neuauflage (die auf alle Fälle gerechtfertigt ist, um das schon einmal vorwegzunehmen).

Im Buch ergründet Schirrmacher den Mythos fünf prägender Dichter, die an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert stehen – namentlich handelt es sich um Hugo von Hofmannsthal, Georg Trakl, Gottfried Benn, Stefan George und Rainer Maria Rilke. Namen, die dem geneigten Leser spätestens aus der Schulzeit ein Begriff sein sollten. Schirrmachers Buch ermöglicht einen neuen Blick und Zugang zum Werk der fünf Dichter und zeigt, wie diese sich gegenseitig beeinflussten und wie ihr Wirken die Literatur revolutionierte und für poetische Weiterentwicklungen sorgte. Kein ganz einfach zu lesendes Werk des Feuilletondoyens, aber ein sehr lohnendes Buch, wenn man sich für deutsche Lyrik und diese einschneidende Epoche der Literaturgeschichte interessiert.

 

 

Christoph Poschenrieder – Kind ohne Namen

In seinem neuen Roman versucht sich Christoph Poschenrieder an einer Nacherzählung der Flüchtlingskrise und der damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen, in nuce auf eine Dorfgemeinschaft heruntergebrochen. Dies verschneidet er mit einer Neuinszenierung von Jeremias Gotthelfs Biedermeier-Novelle Die schwarze Spinne. Was sich etwas krude ausnimmt, ist es dann in der Bearbeitung von Poschenrieder auch tatsächlich. Er erzählt aus der Perspektive von Xenia, die ein Kind unter ihrem Herzen trägt und deshalb in ihr Heimatdorf zurückkehrt, um dort bei ihrer Mutter Zuflucht zu suchen. Währenddessen sind einige Flüchtlinge im Dorf untergebracht worden und das Dorfklima verkommt zusehends. Öl ins Feuer gegossen wird in dieser Situation durch einen Burgherren, der weitreichenden Einfluss besitzt und seine Wehrsportgruppen in den örtlichen Wäldern exerzieren lässt. Dieser geht mit Xenias Mutter einen folgenreichen Pakt ein (hat man Die schwarze Spinne bereits gelesen, wird man wissen, was im Zentrum des Handels steht).

Leider eines der schwächeren Bücher aus der Feder Poschenrieders. Die Behandlung der Flüchtlingskrise und das Update der Schwarzen Spinne alleine hätten gut funktioniert, das von ihm angemischte Amalgam mag sich für mein Empfinden leider nicht verbinden und stößt sich immer wieder gegenseitig ab.

 

 

Christiane Halter-Oppelt (Hrsg.) – Rock my home

Im Buch der deutschen Journalistin Christiane Halter-Oppelt geben Musiker Auskunft über ihr Zuhause und zeigen, wie sie eingerichtet sind. So erhält man als Musik- und/oder Einrichtungsfan Einblick hinter die Haustüren von Stars wie Moby, Cher, Frank Sinatra oder Lilly Allen. Das Ganze funktioniert so: großflächige Fotos aus dem jeweiligen Zuhause werden ergänzt von einem Essay über den Werdegang der Musiker. Am Ende gibt es dann noch einzelne Einrichtungselemente, die besonders herausgehoben werden und deren Bezugsquellen genannt werden. Für Einrichtungsästheten mit dem entsprechenden Geldbeutel sicher einen Blick wert. Ansonsten ist bietet dieses Cooffeetable-Buch wirklich schön fotografierte Aufnahmen von ganz unterschiedlichen Wohnzimmern, vom puristischen Stil bis hin zum ausladendenden Barock ist bei den Musiker so gut wie alles vertreten. So erschließt Halter-Oppelts Buch schlauerweise gleich zwei Zielgruppen: Musikerfans und Einrichtungsfans. Sehr gelungen und von guter Qualität!

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Joachim Meyerhoff – Die Zweisamkeit der Einzelgänger

Mit dem neuen Buch von Joachim Meyerhoff geht es mir wie mit kritischen Anleger eines erfolgreichen Unternehmens: selbst wenn abgeliefert wird und die Produkte einschlagen – es könnte immer noch besser sein und man könnte noch mehr herausholen. Diese befremdliche Unersättlichkeit stellte sich auch bei mir in leichter Ausprägung während der Lektüre von Die Zweisamkeit der Einzelgänger ein.

Meyerhoff, der Feuilleton-Liebling, der gekonnt auf dem zwischen Scheitern und Humor gespannten Seil balanciert, der arrivierte Schauspieler und Bestsellerautor, er dreht in seinem Alle-Toten-fliegen-hoch-Zyklus die Erinnerungen weiter voran. Zuletzt legte er die superben und höchst witzigen Erinnerungen an seinen Werdegang als junger Schauspieler in Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke dar, immer zerrissen zwischen großelterlicher Behaglichkeit und fordernder Schauspielschule. Nun widmet er sich seinen ersten Schauspieljahren in Bielefeld und Dortmund, bei denen sich langsam die ersten Erfolge einstellen, auch wenn die Selbstzweifel in der Zwischenzeit nicht kleiner geworden sind.

Verkompliziert wird sein Beruf zusätzlich noch durch eine Menage-a-quartre, die Meyerhoff im Laufe seiner über 400 Seiten starken Erinnerungen präsentiert. So verliebt er sich zunächst in Hannah, die ihn mit ihrer Mischung aus Wirrnis und Intellekt anzieht. Dann kommt an seiner nächsten Schauspielstation in Dortmund noch die Tänzerin Franka noch dazu, mit der er ebenfalls eine Liaison eingeht, ohne sich derweil in Bielefeld von Hanna zu trennen. Weitere Schubkraft erhält das Liebeskarussell dann noch in Form der Bäckerin Ilse, in deren Backstube der junge Joachim ebenfalls viel Zeit verbringt. Hier zeigt sich wieder einmal die Bestätigung der These, das mit dem Fortschreiten der Jahre alles immer komplizierter wird.

Tolle Erinnerungen sind das wieder geworden, die stark zwischen Lachen und Weinen schwanken, teilweise liegen die Pole nur wenige Absätze auseinander. Meyerhoff versteht sein Handwerk, in einer klaren Sprache (die immer besser wird, wie ich meine) schildert er die Episoden seines Lebens und inszeniert sich als ewig Zweifelnder inmitten der Frauen.

Nun aber zu meinen Luxusproblemen: stets hatte ich bei den letzten drei Büchern von Mal zu Mal das Gefühl, dass sich Meyerhoff steigern konnte. Bislang war Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke wirklich das Non-Plus-Ultra der Reihe – hier verbanden sich Wehmut und Lachen zu einer wirklich großartigen Mischung. Im neuesten Band hatte ich nun erstmals den Eindruck, dass sich Meyerhoff nicht mehr steigern konnte. Obwohl er die erzählerischen Episoden wie gewohnt furios aneinandermontiert, aus seiner Kindheit genauso wie aus der Jugend erzählt – irgendwann wird das ewige Kokettieren mit dem Scheitern und den Versagensängsten etwas obligat.

Nur um Missverständnissen vorzubeugen – Die Zweisamkeit der Einzelgänger ist nach wie vor ein hervorragendes Produkt  – nur für Meyerhoff’sche Verhältnisse hätte für meinen Geschmack noch eine kleine Nuance mehr drin sein dürfen. Abgesehen von diesem minimalen Meckern auf hohem Niveau – ein wunderbares Buch!

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Candice Fox – Crimson Lake

Welch ein Output: binnen Kurzem erschienen im Hause Suhrkamp die drei Titel der Archer-Bennett-Trilogie (Hades, Eden, Fall), des Weiteren publiziert Candice Fox noch Thriller mit James Patterson und nun also sechs Monate nach der Veröffentlichung von Fall Crimson Lake. Dieses Buch stellt erneut das Faible von Candice Fox für unorthodoxe Ermittlungspaare unter Beweis. Übersetzt wurde das Buch von Andrea O’Brien aus dem australischen Englisch

Im vorliegenden Fall sind das zwei von der Gesellschaft geächtete Gestalten, die sich als Ermittlungsduo wider Willen zusammenfinden. Da ist zum Einen der Ex-Cop Ted Conkaffey, der des Kindesmissbrauchs angeklagt wurde, dem aber nie Schuld nachgewiesen werden konnte. Nach einer öffentlichen Hexenjagd zog er sich nach Crimson Lake im Norden Australiens zurück, um dort den ständigen Nachstellungen zu entkommen. Dort trifft er auf seine künftige Partnerin, die Ermittlerin Amanda Pharrell, die ebenfalls bereits vor Gericht stand. Sie ist des Mordes an ihrer Freundin verdächtig, doch auch hier bestehen von Anfang an starke Zweifel an der Schuld. Die Logik dieser Grundkonstellation bedingt nun natürlich die Aufklärung der tatsächlichen Sachverhalte der beiden Fälle im Lauf des Buches. Hinter dem Rücken des jeweils anderen versuchen Conkaffey und Pharrell die beiden Fälle zu lösen.

Diesen Plot verquickt Candice Fox mit einem aktuellen Fall, den die beiden Schnüffler nach dem Desinteresse bzw. Versagen der lokalen Polizeibehörden lösen müssen (und sich dabei natürlich auch besser kennenlernen): ein bekannter Schriftsteller ist verschwunden, sein Ehering wurde im Verdauungstrakt eines Krokodils entdeckt. Die Ehefrau des Verschwundenen setzt Conkaffey und Pharrell auf die Spur – und die beiden liefern schon bald. Sie wirbeln ganz Crimson Lake durcheinander und stoßen dabei auf einen verwinkelten Fall, der es mehr als in sich hat …

Vergleicht man nun Crimson Lake (Übersetzung aus dem australischen Englisch von Andrea O’Brien) mit der Archer-Bennett-Trilogie komme ich zu einem eindeutigen Ergebnis – Crimson Lake ist das klar bessere Buch. Zwar malt Candice Fox immer noch mit sehr grobem Pinsel und hat auch vor abgegriffenen Bildern keine Scheu, dennoch funktioniert ihr Konzept hier wirklich sehr gut. Gekonnt fängt sie die Atmosphäre im sumpfigen Norden Australiens ein und schafft es, durch die Subplots die Spannung hoch zu halten und diese auch konsequent zu Ende zu führen. Die Verbindung von ungelösten Altfällen und dem aktuellen Auftrag geht hier wirklich auf und sorgt durch Perspektivwechsel und Sprünge für permanentes Tempo.

Ärgerlich sind nur die Schludrigkeiten im Buch, die ins Auge fallen. So halte ich es auch als Nicht-Biologe für ausgeschlossen, dass in Australien ein 200 Meter langes Krokodil die Sümpfe unsicher macht. Hier scheint mir entweder Candice Fox‘ Fantasie etwas mit ihr durchgegangen zu sein oder ihr Verlag hat bei der Korrektur geschludert. Auch die sehr nahe an amerikanischen Thrillern orientierte Optik ist nicht ganz mein Fall, wirkt sie doch etwas billig und effekthascherisch.

Ansonsten gibt es wenig zu meckern – wenn es so weitergeht freue ich mich sehr auf den neuen Fall von Ted Conkaffey und Amanda Pharrell!

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Stefan Zweig – Sternstunden der Menschheit

Bücher sind die einzigen Zeitreisemaschinen, die zuverlässig funktionieren. Dieses Erkenntnis Denis Schecks teile ich voll und ganz. Mit keinem anderen Medium kann ich so schnell von Walfangreisen in der Antarktis in die Gänge von EU-Behörden wechseln, vom tschetschenischen Bürgerkrieg bis ins Neapel der 60er Jahre reisen. Ein Buch, das dies besonders gut ermöglicht, ist Stefan Zweigs Historien-Klassiker Sternstunden der Menschheit. Mit seinen Miniaturen historischer Momente ist das Buch Urvater aller kommenden Autoren, heißen sie Florian Illies, Jürgen Goldstein oder Richard von Schirach. Zweigs Idee, besondere Momente literarisch zu verdichten, an denen die Geschichte an einer Wegscheide stand, ist auch nach genau 90 Jahren seit Erscheinen immer noch bestechend und inspirierend. Dies beweist nicht zuletzt die Fülle an Büchern, die regelmäßig die Bestsellerlisten bevölkern und sich stark an Zweigs Konzept der literarischen Geschichtsschreibung orientieren.

Die aktuelle Neuausgabe der Sternstunden der Menschheit ist zugleich der Auftakt der sogenannten Salzburger Ausgabe. Hier werden nach und nach die Bücher Zweigs neu editiert und auf dem aktuellsten Stand der Forschung herausgegeben. Urheber ist das Salzburger Stefan Zweig Zentrum, dessen Forscher die Werke mit einem Appendix versehen, der über die Entstehungsgeschichte der Zweig’schen Bücher Auskunft gibt. Mustergültig lässt sich das bei den Sternstunden der Menschheit beobachten.

Diese umfassen die (bekannten) Episoden über Entdecker wie Sir Walter Scott, Komponisten wie Georg Friedrich Händel oder Politiker wie Woodrow Wilson, deren Handeln entscheidenden Einfluss auf die Weltgeschichte hatte. Die vierzehn historischen Miniaturen sind mal mehr und mal weniger historisch genau belegbar, Zweig bewegt sich von der Antike (Cicero) bis hin in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg (Wilson versagt). Ebenso weit, wie der historische Rahmen gesteckt ist, ist es auch der inhaltliche. Musik, Literatur, Militärgeschichte – Zweig interessiert sich für alle nur denkbaren Geschehnisse und wählt auch ein spannendes Personaltableau für seine Erzählungen. Von strahlenden Helden bis zu völlig gebrochenen Charakteren versammelt das Buch eine Vielzahl an Männern. Aber eben auch nur Männer – keine einzige der vierzehn Geschichten dreht sich um eine Frau oder geht auf deren Bedeutung an den Wendepunkten der Geschichten ein. Frauen sind für Zweig in seinen Miniaturen Marginalien oder gar Ärgernisse, wie er es in der Geschichte Die Entdeckung Eldorados formuliert:

Nach acht Tagen ist das Geheimnis verraten, eine Frau – immer eine Frau! – hat es irgendeinem Vorübergehenden erzählt und ihm ein paar Goldkörner gegeben.

Zweig, Stefan: Sternstunden der Menschheit

Dieses Frauen- und Weltbild hat sich in den 90 Jahren seit Erscheinen von Zweigs Geschichten zwar verändert, diese maskuline Erzählhaltung ist aber sehr auffallend. Auch wenn Zweig beispielsweise mit seiner Romanbiographie Maria Stuart Geschichte aus Frauensicht zu erzählen versucht – das jegliche Fehlen der weiblichen Perspektive irritiert hier bisweilen.

Stilistisch vielfältige Erzählungen

Zweigs Episoden sind inhaltlich so vielfältig wie stilistisch variabel. Ob nahe an einer Gedichtinterpretation (Marienbader Elegie), Poem (Heroischer Augenblick) oder Theaterstück (Die Flucht zu Gott) – Zweig beweist seine schriftstellerische Vielfalt eindrücklich, auch wenn ihm beim Würzen seiner Geschichten manchmal der Pathos-Streuer etwas zu sehr aus den Händen gleitet. Trotzdem wirken die Geschichten dank der erzählerischen Klasse auch heute noch frisch und wunderbar lesbar.

Die wahre Qualität dieser Ausgabe liegt nun allerdings im Bonusmaterial, das die Salzburger Ausgabe mitliefert. Bereits vorangestellt sind die verschiedenen Vorworte, die Zweig zu seinen unterschiedlichen Sternstunden-Ausgaben verfasste. Auf den Textkorpus folgen anschließend  Versionshistorien, Überlieferungen, Quellen und Stellenkommentare. Eine wirklich erhellende Fundgrube, die die Geschichten hinter den Geschichten besser verstehen lässt.

Wenn die kommenden Bände der Salzburger Ausgabe weiterhin so sorgfältig editiert herausgegeben werden, kann man sich wirklich freuen. Ein weiterer Baustein des Zweig-Revivals, der einen Autor wieder neu entdecken lässt und Zugänge schafft!

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Büchertipps zur Weihnachtszeit

Alle Jahre wieder – das Weihnachtsfest steht vor der Tür und es stellt sich die Frage, was um alles in der Welt man seinen Liebsten schenken soll. Die Antwort lautet (wie jedes Jahr): gute Bücher! Kein anderes Geschenk ermöglicht es, noch vor dem obligatorischen Gänsebraten ins Mittelalter zu reisen und nach dem Gänsebraten dann durch das postapokalyptische Südafrika zu springen – nur Bücher schaffen dieses Kunststück. Mit dem passenden Buch liegt man nie falsch.

Um euch die Suche nach dem richtigen Buch etwas zu vereinfachen, habe ich hier ein paar Büchertipps versammelt, mit denen man sicher nicht verkehrt liegt. Ähnlich wie bei den Büchertipps für den Urlaub aus der ersten Jahreshälfte speist sich auch hier der Großteil aus neu- und wiedererschienenen Werken, die mir gut gefallen haben und die ich ruhigen Gewissens empfehlen kann. Nur eine Bitte habe ich, bevor ihr euer Geld investiert. Tut mir einen Gefallen und unterstützt lieber den lokalen Buchhändler, der euch alle Bücher mindestens ebenso schnell wie Amazon liefern kann. Nur der Buchhändler ums Eck zahlt auch hier Steuern und sorgt für seine Angestellten. Hier kann jeder mit seiner Kaufentscheidung direkt Impulse setzen und den lokalen Handel unterstützen. So zeigt man Verantwortung und muss sich auch keine Gedanken machen – die Bücher kosten schließlich ja auch überall dasselbe. Nun aber los:

 

 

Für historische Interessierte gibt es dieses Jahr eine ganze Fülle toller Bücher. Stellvertretend seien hier drei Monographien genannt, die mich sehr begeistert haben. Zunächst ist da Zeithain, ein dicker, literarisch anspruchsvoller Schmöker, der sich um die sogenannte Katte-Tragödie dreht. Diese spielte sich am preußischen Königshof ab, als Kronprinz Friedrich II. mit seinem Freund Hans Hermann von Katte vor seinem strengen Vater, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. fliehen wollte.

Etwas weiter vorangeschritten in der Zeit sind wir dann mit der zweiten Empfehlung, ebenfalls einem wirklichen Epos, nämlich Franzobels Das Floß der Medusa. Dieses Buch behandelt den historisch verbürgten Untergang des Schiffes Medusa. Um zu überleben, zimmerten Passagiere des Schiffes ein Floß und wagten darauf die Überfahrt in der Hoffnung, jemand würde sie retten. Doch die Rettung lässt auf sich warten …

Ein Klassiker, der vor 90 Jahren erschien, ist der dritte Tipp: Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit versammelt zwölf Miniaturen mit Momenten, an denen sich persönliche und politische Schicksale entschieden. Ein Sammelsurium unterschiedlichster Menschen und Situationen, das in einer sehr gelungenen Neuauflage nun vom Stefan-Zweig-Zentrum herausgegeben wurde. Anmerkungen, Erläuterungen und Hintergrundwissen inklusive.

An Stefan Zweigs Konzept der Geschichtsschreibung lehnt sich auch Blau – Eine Wunderkammer und seine Bedeutung von Jürgen Goldstein an. Ein stupendes Werk, das das Blau in all seinen Facetten ergründet, egal ob Blue Jeans oder Blaue Stunde.

 

 

Historisch ist auch die fünfte Empfehlung in der Runde, auch wenn es streng genommen kein ganz neues Buch ist. Klaus Modicks Der kretische Gast (im Original erschienen 2003) spielt überwiegend im Jahr 1943 auf der von den Deutschen besetzen Insel Kreta. Modick gelingt ein großartiger Schmöker, bei dem Leid und griechische Lebensfreude eng beieinander liegen.

Etwas gibt Bücher, deren Titel wirklich in die Irre führen könne. Dorothy Bakers wiederentdecktes Buch Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft ist genau solch ein Fall. statt einem kitschigen Seifenblasenbüchlein gibt es hier die sehr realistische und mit viel Jazz und Swing ausgekleidete Lebensgeschichte eines Trompeters, dessen Liebe zur Musik ihn erst ganz nach oben führt, und dann wieder abstürzen lässt. Der Originaltitel Young man with a horn (1938) ist hier deutlich zielführender.

Doch nicht nur der nostalgische Blick zurück soll gewagt werden, Bücher schauen auch immer nach vorne und ermöglichen einen Blick in die Zukunft, wie sich (hoffentlich nicht) eintreten könnte. Der südafrikanische Bestsellerautor Deon Meyer versucht sich in Fever an solch einer Vision. Eben jenes titelgebende Fieber hat die der Welt in der nahen Zukunft nahezu entvölkert. In Südafrika schlägt sich ein Junge mit seinem Vater durch und versucht einen Neustart der Zivilisation. Ein spannender, von großem Humanismus durchwirkter Schmöker.

Ein paar weniger Seiten hat William Shaws neuer Krimi Der gute Mörder, der an der Südküste Englands spielt. Dort verbringt der Dorfpolizist William South sein beschauliches Leben und pflegt die Vögelbeobachtung. Alles wird allerdings auf den Kopf gestellt, als South‘ Nachbar ermordet aufgefunden wird. Nun muss er ermitteln und dabei versuchen, sein eigenes Geheimnis vor den Kollegen zu verstecken. Ein ruhiger Krimi mit Anlängen an den IRA-Konflikt.

 

 

Ein süffiges Leseerlebnis und eine spannende Biographie bietet Klaus Cäsar Zehrer mit seinem Debüt Das Genie. Das titelgebende Genie ist James William Sidis, ein Junge, der schon im Wochenbett von seinem ehrgeizigen Vater dazu getriezt wird, das schlaueste Kind der Welt zu werden. Und anfänglich scheint der Plan von James‘ Vater tatsächlich auch aufzugehen. Doch damit beginnt ein Ikarus-Flug, der nicht gutgehen kann.

Neben diesem Buch sei auch ein weiterer Roman wärmstens empfohlen, der sich genauso wie das Genie und das Floß der Medusa auf der Nominierungsliste des Bayerischen Buchpreises fand. Die Rede ist vom Buch Justizpalast der Autorin Petra Morsbach, die darin aus dem Leben der Richterin Thirza Zorniger erzählt und nebenbei auch noch ein tiefenscharfes und facettenreiches Bild unseres Rechtssystems zeichnet. Hätte nicht Franzobel das Rennen gemacht, Morsbach wäre der Preis genauso zu gönnen gewesen.

Eine andere lesenswerte Autorin ist Mariana Leky, der mit Was man von hier aus sehen kann, einer der Überraschungserfolge des Jahres gelungen ist. Sie erzählt von einer kleinen Dorfgemeinschaft im Westerwald und überträgt dabei den Marquez’schen Magischen Realismus eigenwillig und lesenswert ins deutsche Mittelgebirge. Immer wenn die Seniorin Selma von einem Okapi träumt, stirbt 29 Stunden später jemand. Wie würdest du mit der Aussicht auf 29 Stunden Restlaufzeit leben?

Der letzte Tipp in dieser illustren Runde ergeht für den Roman Niemals des Drehbuchautoren Andreas Pflüger. Jener schickt seine blinde Heldin Jenny Aaron zum zweiten Mal auf ein wahres Himmelfahrtskommando, das sie diesmal von Schweden nach Marrakesch bis in die Alpen führt. Breitwand-Actionkino für Sprachästheten und ein echtes Geschenk für jeden, der spannende Romane mag.

 

Nun wünsche ich frohes Schenken, Schmökern und einige ruhige Tage inmitten des ganzen Festtagstrubels.

 

 

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