Gina Schad – Nach einem Traum

Wird das was oder wird es nichts? Die junge Marie verliebt sich in Simon, doch der hat eine Familie und macht ihr nicht wirklich Hoffnung auf mehr. In der Folge entspinnt sich in Gina Schads Debütroman Nach einem Traum ein ambivalentes Verhältnis der beiden, das sich auch im Digitalen fortsetzt.


Zu den auffälligen Trends auf dem Literaturmarkt in diesem Frühjahr zählt die Häufung junger Debütautorinnen, die mit ihren Romanen die Lebenswelt der Millenials ausleuchten und vom Ver- und Entlieben aus weiblicher Perspektive bisweilen auch radikal erzählen.

Esther Schüttpelz wäre zu nennen, die in ihrem Debüt Ohne mich die Geschichte einer jungen Frau beschreibt, die jung heiratete und nun nach der Trennung ihr erstes Jahr als Single erlebt. Caroline Schmitt erzählt in ihrem Debüt Liebewesen von der jungen Mariam, deren Liebe von einem Tinder-Date ausgehend über ein Date in der Badewanne bis hin zu einer Abtreibung alle Facetten einer Liebesgeschichte und Trennung reicht.

Caroline Wahl nimmt in 22 Bahnen die junge Tilda in den Blick, die für ihre Mutter und ihre Schwester verantwortlich ist und für die eine mögliche Promotion in Berlin und die Begegnung mit einem jungen Mann im Schwimmbad Aufbruch aus dem bisherigen Leben verheißt. Und auch Gina Schad fügt sich mit ihrem Debüt Nach einem Traum in diese Riege junger Debütantinnen ein.

Schad ist studierte Medienwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit Netzkultur. Das zeigt sich nicht nur auch auf dem Umschlag des Buchs, auf dem Marcus Beckedahl, der Gründer von netzpolitik.org, mit einem Blurb abgedruckt ist. Auch im Inneren des Buchs spielen Chats und eine App eine zentrale Rolle.

Ein Date im Café nahe der Charité

Doch zunächst beginnt auch in ihrem Roman alles eigentlich recht klassisch. Marie trifft sich mit Simon in einem Café unweit der Berliner Charité. Dort ist er als Belegarzt tätig und hat eine eigene Hausarztpraxis. Nach einem kurzen Abtasten und Smalltalk stellen sie fest, dass sie gut miteinander harmonieren und da durchaus mehr entstehen könnte. Zwar schreckt sie die Mitteilung, dass Simon Zwillinge hat und in einer festen Verbindung steckt etwas ab, aber dennoch beschließen sie, in Kontakt zu bleiben.

Das verstehst du doch hoffentlich, fährt er fort. Wir können uns nicht mehr treffen. Das ist zu gefährlich. Eine kleine Unachtsamkeit in deiner Nähe reicht schon aus, um meine Familie zu zerstören. Aber ich will auf jeden Fall weiter mit dir schreiben! Und darf ich dir noch eine App auf dein Handy laden? Lass uns doch bitte darüber kommunizieren. Das ist sicherer.

Gina Schad – Nach einem Traum, S. 27

Nach dem Date dort in der Charité beginnen die beiden mit ihrer Konversation. Marie teilt ihre Gedanken aus dem Alltag – Schwierigkeiten mit ihrer Mutter, ausstehende Abschlusskonzerte für die Beendigung des Cello-Studiums -, er erzählt von seinem Alltag mit Frau und Kindern. Beide schleichen umeinander herum, man möchte sich wieder sehen, doch das geht nur unter Schwierigkeiten. Marie möchte mehr als nur Küsse – doch Simon kann und will ihr das nicht geben.

Annäherungen und Abstoßungen, digital und manchmal real

In den Chats nähern sie sich an, suchen nach Pausen, stoßen sich wechselseitig an und ab, treffen sich wieder mal kurz real in Berlin oder am Flughafen – eine wirkliche Entwicklung hin zu einem klaren Verhältnis der beiden ist aber nicht absehbar. Marie möchte unbedingt mehr, kreist in ihren Gedanken und ihrem Verlangen um Simon bis hin zu Fantasien, in das Haus von Simons Familie einzusteigen.

Gina Schad - Nach einem Traum (Cover)

Er lockt, macht dann aber auch wieder schmerzhaft klar, dass sie weiter nichts von ihm erwarten kann und die Turteleien enden müssen. Das ambivalente Verhalten der beiden arbeitet Gina Schad im Laufe des Romans sehr gut heraus. Sehnsucht, Begehren an der Grenze zum Stalking, dann aber auch wieder der Versuch der Ablenkung und der Besinnung. Das Überinterpretieren von Bildern, ausbleibenden Nachrichten oder unachtsamen Sätzen, die jeweils passend zur Gemütslage ausgelegt werden oder schlimmste Befürchtungen wecken können. Davon erzählt Nach einem Traum und zeigt dazu in Ansätzen, wie uns die digitalen Medien selbst zu Stalkern light gemacht haben.

Da kann man schon einmal die Gattin des Angebeteten recherchieren, ihre Werke und das im Digitalen abgebildete Familienleben studieren, intime Wünsche via App austauschen oder mit Likes von Bildern dem Gegenüber seine Aufmerksamkeit und dessen Sichtbarkeit demonstrieren. Nach einem Traum zeigt, welche neuen Möglichkeiten uns die digitalen Welten eröffnen, wie das Ganze aber auch in Überwachung und Spionage kippen kann und man aus einem Stalker light schnell zu einem „richtigen“ Stalker werden kann.

Ein ambivalentes Verhältnis

Hier wie auch in der Darstellunge des ambivalenten Verhältnisses der beiden Protagonist*innen hätte Schads Debütroman in meinen Augen noch etwas Tiefe verdient. So fliegt man dank der schnellen Chat-Einsprengsel und kurzen Kapitel rasch durch den Roman – ein wenig mehr Widerhaken in Form von krasserem Verhalten der Beteiligten oder der Mut, die anfängliche Liebesgeschichte noch etwas mehr abgleiten zu lassen hätten dem Text vielleicht gut getan und ihm ein paar mehr erinnerungswürdigere Momente beschert.

Abgesehen davon ist Nach einem Traum ein Roman, der das Hoffen und Bangen, Recherchemöglichkeiten, die uns der digitale Raum ermöglicht, sowie das Abgleiten von unerfüllten Sehnsüchten in übergriffiges Verhalten beschreibt. Viele Leser*innen dürften sich und ihr Datingverhalten in Gina Schads Beschreibungen widergespiegelt sehen – und auch ich kann das nicht verneinen.

Fazit

Vom Daten im Digitalen, von enttäuschten Hoffnungen und Selbsttäuschung, vom Warten auf den nächsten Chat oder ein Like, davon erzählt Nach einem Traum, was ihn zu einem sehr aktuellen und zeitgeistigen Buch der Generation Y macht. Damit schreibt sich Gina Schad in die eingangs erwähnte Riege junger Debütantinnen ein und legt ein schwebendes Buch vor, das viele Sichtweisen und Interpretationen zulässt.


  • Gina Schad – Nach einem Traum
  • ISBN 978-3-8337-4612-3 (Goya Lit)
  • 226 Seiten. Preis: 22,00 €

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Steffen Schroeder – Planck

oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor

Max Planck dürfte man vielleicht noch aus dem Physikunterricht oder als Namenspate der gleichnamigen Gesellschaft kennen, die Institute für physikalische Forschungen betreibt. Welche Dramatik sein Leben zur Zeit des Zweiten Weltkriegs barg, unter anderem davon erzählt Steffen Schroeder in seiner Geschichtsstunde Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor eindrucksvoll.


An der Musik kann man sich aufrichten, hat er seinen Kindern immer erklärt. Und an der Physik. Das mit der Musik haben sie sofort verstanden. Aber was er so liebt an der Physik, hat ihn Erwin als Kind einmal gefragt.

„Die Physik“, hat er geantwortet, „versucht, uns die Welt zu erklären. Was kann es Schöneres und Beruhigenderes geben?“

Steffen Schroeder – Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor, S. 308

Doch was ist, wenn die unumstößlichen Grundsätze und Regeln der Physik plötzlich nicht mehr zu gelten scheinen? Wenn sich sicher geglaubte Gewissheiten auflösen, die Rationalität nicht mehr zu greifen scheint und ein ganzes Land verrückt geworden zu sein scheint? Dem spürt Steffen Schroeder in seinem Roman nach, in dem er eine ganze Reihe von Naturwissenschaftler*innen zur Zeit des Nationalsozialismus porträtiert und zeigt, wie sich der Verlust von Sicherheit und Gewissheiten auf sie auswirkt.

Die Physiker

Dabei bildet Max Planck als Titelheld den Hauptpart in Schroeders Geschichtsstunde. Beginnend im Oktober 1944 zeigt er den Nobelpreisträger im Exil. Nach den Bombenangriffen ist er zusammen mit seiner Frau Marga aufs Land nach Rogätz an der Elbe geflohen. Die Nazis erwarten sich von ihm als herausragenden Forscher ein öffentliches Bekenntnis zum Führer, doch Planck kann und will ihnen dieses Bekenntnis nicht geben.

Steffen Schroeder - Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor (Cover)

Ihn treibt der Gedanke um seinen Sohn Erwin um, der im Gefängnis in Berlin Tegel sitzt und seiner Hinrichtung harrt. Dieser hatte sich im Kreis der Verschwörer rund um Carl Friedrich Goerdeler engagiert und schon früh vor den Kriegsplänen Hitlers gewarnt. Als Intimus des früheren Reichskanzlers Kurt von Schleicher war Planck bei den Nazis eh schon nicht wohlgelitten und wurde unter Vorsitz von Roland Freisler vor dem „Volksgerichtshof“ schließlich zum Tode verurteilt.

Planck will seine Kontakte nutzen, um das Todesurteil gegen seinen Sohn in eine Gefängnisstrafe umzuwandeln. Währenddessen ist es Erwin Plancks Frau Nelly, die in der Charité unter Wilhelm Sauerbruch unermüdlich Kranke und Verletzte operiert und versorgt. Und auch in der neutralen Schweiz im sogenannten Burghölzli kümmert man sich in diesen letzten Tagen des Jahres 1944 um Versehrte – hierbei handelt es sich aber am psychisch beeinträchtigte Patient*innen, die dort in der heute unter dem Namen Psychiatrische Universitätsklinik Zürich bekannten Klinik mit teils drastischen Methoden „therapiert“ werden. Einer der Patienten: Eduard Einstein, Sohn des weltberühmten Physikers und Vater der Relativitätstheorie, der derweil in Princeton im Exil lebt und einst von Max Planck entdeckt wurde.

Widersprüche und der Verlust von Gewissheit

Um dieses Figurenensemble herum gruppiert Steffen Schroeder seine Erzählung, die die teils widersprüchlichen Figuren eindrucksvoll in Szene setzt. Einstein, der sich von seinen Frauen schnell eingeengt fühlt und in Affären stürzt und trotz aller physikalischen Hellsichtigkeit privat doch bemerkenswert verblendet ist, Sauerbruch, der als hochdekorierter Arzt von Berlin aus ins unterfränkische Amorbach reist und dabei die SS-Schergen am Wegesrand stehen lässt, Planck, dem aller Ruhm nicht nützt, um seinen Sohn aus der Haft der Nazis zu befreien und der sich zudem weigert, an der Entwicklung der „Deutschen Physik“ mitzuwirken.

Steffen Schroeders Buch ist pointiert in seiner Darstellung dieser Physiker, obschon sein Buch nicht davor gefeit ist, in manchen Erklärpassagen etwas zu theoretisch zu werden, etwa wenn er die Hintergründe zur Entdeckung der Röntgenstrahlen oder den Ebert’schen Badehosenskandal noch einmal nacherzählt.

Solche Wikipedia-artigen Exkurse bleiben aber in der Minderheit, weil sich Schroeder neben seinem Panoptikum der Physiker*innen von Lise Meitner bis zu Otto Hahn eben auch auf die Brüche im Leben seiner Hauptfiguren konzentriert. Die Verluste sämtlicher Gewissheiten und den krassen Widerspruch der Verlässlichkeit physischer Regeln und dem erratischen Treiben in den letzten Monaten des Kriegs, Steffen Schroeder arbeitet all das wunderbar heraus – vielleicht auch bedingt durch die eigene biografische Nähe zum Objekt seines Schreibens. Denn der Autor ist entfernt mit Max Planck verwandt und hat für seinen Roman viele zum Teil unbekannte Korrespondenzen und Schriftstücke des Physiknobelpreisträger gehoben und gesichtet.

So entsteht ein Buch, das neben viel Geschichtsstunde und Naturkunde eben auch Raum für die Dramen des Lebens lässt. Wie sich Erwin Planck noch einmal hinausträumt in die Welt, wie Einstein die Verfehlungen seines Lebens räsoniert oder Planck senior Rückschau auf Erreichtes und Verpasstes hält, das ist ausnehmend gut gemacht und geht nahe, ohne auf die emotionale Tränendrüse zu drücken.

Fazit

Steffen Schröder erzählt souverän und hochinteressant vom Verlust der Gewissheiten, vom Widerspruch physikalischer Sicherheiten und erlebtem Chaos und von Fehlern, vor denen nicht einmal ein Nobelpreis bewahren kann. All das verdichtet er auf die letzten Monate des Kriegs, wobei durch die Fokussierung auf sein Ensemble aus Figuren zu keinem Zeitpunkt Langeweile entsteht. Eine packende Geschichtsstunde, die die Zeit von Oktober 1944 bis zum Sieg der Alliierten in den persönlichen Biografien und Schicksalschlägen von Schroeders Naturwissenschaftler*innen noch einmal nacherlebbar werden lässt.


  • Steffen Schroeder – Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor
  • Büchergilde Gutenberg, Artikelnummer 174367
  • 320 Seiten. Preis: 21,00 €
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Flynn Berry – Northern Spy

Zwei Schwestern im Nordirlandkonflikt, verstrickt in ein Geflecht aus Spionage, Angst und Gewalt. Davon erzählt die Amerikanerin Flynn Berry in ihrem Thriller Northern Spy. Leider nur so halbwegs überzeugend.


Das Thema des Nordirland-Konflikts ist eines, das auch über das Karfreitagsabkommen von 1998 hinaus die Menschen in Irland und Nordirland beschäftigt. Jüngst wurde im Rahmen des Brexit-Abkommens das Nordirland-Protokoll verhandelt, das dem besonderen Status der Insel Rechnung trägt. Ein Teil dem Vereinigten Königreich zugehörig, der andere unabhängig. Der eine Teil katholisch, der andere protestantisch. Diese Demarkationslinie ist bis heute auf der Landkarte sichtbar und in den Köpfen der Menschen tief eingegraben.

Mag die Hochzeit der Troubles zwar vorbei sein – zur Ruhe gefunden hat Irland allerdings noch lange nicht. Das zeigt auch die Amerikanerin Flynn Berry in ihrem Roman Northern Spy, der in Belfast angesiedelt ist.

Eine Schwester auf Abwegen

Dort arbeitet Tessa als Polit-Redakteurin für die BBC, für die sie Politiker*innen für Interviews anfragt und diese dann vorbereitet und ihren Kolleg*innen zuarbeitet. Privat ist sie vor allem mit der Betreuung und Erziehung ihres Sohnes Finn befasst, den sie so gut wie alleinerziehend versorgt.

Flynn Berry - Northern Spy (Cover)

Ihr überschaubares Leben gerät durch eine Fernsehmeldung allerdings schon bald gehörig aus dem Takt. Denn darin taucht ihre Schwester Marian auf, die sie eigentlich beim Schwimmen glaubte. Zusammen mit anderen Angehörigen der IRA soll sie eine Tankstelle überfallen haben.

Tessa kann diese Radikalisierung ihrer Schwester nicht wirklich glauben, schließlich ist diese in Belfast als Rettungssanitäterin aktiv und hat nie Anzeichen für politisches Engagement erkennen lassen. Warum also soll sie plötzlich in einen Überfall der Irischen Unabhängigkeitsbewegung verwickelt sein?

Bei ihrer Suche nach der Wahrheit hinter der IRA-Nähe ihrer Schwester gerät Tessa in ein verhängnisvolles Gespinst aus Spionage, Angst und Gewalt, scheint die nordirische Provinz doch nach wie vor nicht zur Ruhe zu kommen.

Etwas aus der Zeit gefallen

Wenn man Flynn Berrys Roman so liest, dann könnte man wirklich glauben, dass seit dem Bloody Sunday zur Hochzeit des Terrorismus kein Tag in Nordirland verstrichen ist. Hier werden Tankstellen überfallen, fliegen Häuser in die Luft, werden Waffendepots ausgegraben und leben alle dermaßen in Angst, dass der IRA-Terror immer noch auf dem Höhepunkt scheint.

Dass die Lage aktuell weitaus entspannter ist, man Belfast und Nordirland sehr gut besuchen kann und es zwar von Zeit zu Zeit zu punktueller Gewalt kommt, aber keinesfalls so flächendeckend, wie dies Flynn Berry glauben machen will, das sorgte bei mir Befremden. Auch die vielen eigenwilligen Fiktionen wie Soldaten an der nordirischen Grenze und ein Übertritt ebendieser, gegen den die Einreise in die DDR zur Zeit des Kalten Kriegs wie ein Spaziergang wirkt, das wirkt doch, als sei die Fantasie am heimischen Schreibtisch etwas mit ihr durchgegangen.

Generell würde ich in Abrede stellen, dass sich Flynn Berry als Amerikanerin abseits von Allgemeinplätzen und der Lektüre ein paar alter Artikel besonders eingehend mit der Situation vor Ort in Nordirland beschäftigt hat. Das fällt insbesondere auf, wenn man die Literatur von „echten“ nordirischen Schriftsteller*innen zum Vergleich heranzieht, gegen die Flynn Berry haushoch verliert.

So schrieb Anna Burns mit Milchmann eine eindringliche Parabel über weibliches Aufwachsen in einer von Gewalt dominierten Welt, das auch aufgrund von Burns eigenem Hintergrund als wenig chiffrierte Erzählung über das Aufwachsen in Nordirland während des Bürgerkriegs gelesen wurde. Adrian McKinty zeichnet in seiner Reihe um den katholischen Bullen Sean Duffy ein ebenso eindringliches Bild von Polizeiarbeit, Popkultur und Alltag in Belfast ab dem Höhepunkt der IRA-Gewalt 1981. Während sich Kenneth Branagh im vergangenen Jahr in Belfast filmisch seiner eigenen Kindheit näherte (in der auch die Gewalt und Angst immer präsent war), sind auch in Werken anderer Schriftsteller*innen wie Claire Keegan oder Sebastian Barry diese Erfahrungen immer eingeschrieben, selbst wenn sie nicht explizit erwähnt werden.

Allenfalls literarisches Mittelmaß

Nicht nur in Sachen schriftstellerischer Raffinesse fällt Flynn Berry im Vergleich wirklich deutlich ab. Auch ist diese Gesamtkomposition reichlich flach, die eine der Pointen um die Wahrheit hinter Marians Treiben bei der IRA schon im Titel verrät. Alles hier wirkt eher wie eine nicht wirklich aktuelle Kulisse, vor der zwei nicht wirklich tiefenscharf gezeichnete Frauen um ihr nicht wirklich plausibel geschildertes Seelenheil ringen und dabei Dialoge wie aus einem mittelmäßigen Fernsehkrimi sprechen:

Ich starre meine Schwester an. Ihr Gesicht ist blass und trocken, ihre Lippen sind rissig. „Hast du eine Bombe in St. George’s Market deponiert?“

„Ja.“

„Du hast dabei meinen Sohn im Arm gehalten.“

Marian zieht die Oberlippe zwischen die Zähne. „Ja.“

„Du wirst Finn nie wieder sehen“, sage ich scharf. „Du kommst nicht mal in seine Nähe.“

„Er war nicht in Gefahr. Es…“

„Halt die Klappe.“ Ich bedecke meine Augen mit der Hand und schüttle den Kopf. „Also gut, gehen wir. Wir gehen zur Polizei.“

„Das kann ich nicht, Tessa.“

„Schade.“

Flynn Berry – Northern Spy, S. 128

Von der Nuanciertheit echter, autochthoner nordirischer Krimiliteratur ist das Ganze leider so weit entfernt wie Amerika von der Grünen Insel.

Fazit

Ähnlich wie zuletzt die Naomi Krupitsky zeigt auf Flynn Berry hier zwei Frauen verstrickt in ein System der Gewalt und gefährlichen Loyalitäten. Was bei Krupitsky die Geschichte zweier Freundinnen im Umfeld der amerikanischen Mafia war, ist bei Flynn Berry nun die Welt der IRA, in der sich zwei Schwestern wiederfinden. Und ähnlich wie bei Krupitsky ist auch hier das Ergebnis leider bestenfalls Mittelmaß, wirken beide Bücher doch, als hätten sich die amerikanischen Autorinnen reizvolle Themenfelder ausgesucht, die sie dann aber statt sie in aller Tiefe zu durchdringen lieber vom Schreibtisch mithilfe von etwas oberflächlichen Infos und ohne gesteigerte Milieu- und Ortskenntnis ganz nach ihrer Fantasie ausgestaltet haben.

Für den amerikanischen Massenmarkt mag das genügen (die Washington Post nannte den Roman laut Verlagswerbung einen der besten Spannungsromane des Jahres), für jede*n, der oder die sich auch nur etwas eingehender mit der Geschichte der Troubles und der irischen Literatur selbst befasst, den dürfte dieses Machwerk aber enttäuschen.

Deshalb ist Northern Spy bestenfalls Mittelmaß, in meinen Augen liegt es sogar deutlich darunter. Lieber sollte man zu irischen Originalen greifen, statt mit diesem oberflächlichen Werk seine Zeit zu vertun.


  • Flynn Berry – Northern Spy – Die Jagd
  • Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Thon
  • ISBN 978-3-7466-3988-8 (Aufbau)
  • 362 Seiten. Preis: 13,00 €
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John Steinbeck – Von Mäusen und Menschen

Ein großer Klassiker des amerikanischen Realismus, jetzt neu zu entdecken in einer illustrierten Ausgabe von Philip Waechter bei der Büchergilde Gutenberg: John Steinbeck über ein ungleiches Duo und ihre Sehnsucht nach etwas Glück – Von Mäusen und Menschen.


Der amerikanische Traum, er hat Generationen von Menschen das Leben in einer besseren Welt verheißen, die möglich ist, wenn man sich nur genug anstrengt. Auch das ungleiche Duo George und Lennie treibt diese Hoffnung um. Als Hilfsarbeiter verdingen sich die beiden, wobei George die meiste Zeit mit der Betreuung von Lennie beschäftigt ist. Dieser ist ein rechter Simpel mit dem Verstand eines Kleinkindes, aber den Körperkräften eines Riesen.

Slim hatte sich nicht gerührt. Seine ruhigen Augen folgten Lennie zur Tür hinaus. „Du lieber Himmel“, sagte er, „der ist wie ein Kind, was?“

„Natürlich ist er wie ein Kind. Auch so harmlos wie ein Kind, bloß mit dem Unterschied, dass er so stark ist. Ich wette, er kommt heute Nacht nicht zum Schlafen her. Er wird draußen im Stall schlafen, direkt neben der Kiste. Na, soll er doch. Da kann er nichts Schlimmes anstellen.“

John Steinbeck – Von Mäusen und Menschen, S. 104

Lennie und George unterwegs

Auf ihrer Wanderschaft sind die beiden Arbeiter vom Städtchen Weed nun zu einer neuen Farm gelangt. Dort wollen sie sich verdingen, um Geld zu sammeln. Denn der amerikanische Traum, er treibt auch George und Lennie um. So ist es insbesondere zweiterer, den die Idee eines gemeinsamen Zuhauses gar nicht mehr wirklich zur Ruhe kommen lässt.

John Steinbeck - Von Mäusen und Menschen (Cover)

Ein eigenes Dach über dem Kopf und im Garten Hasen, um deren Zucht er sich kümmern kann, dieser Gedanke beglückt Lennie ungemein. Alle Arten von Tieren sagen dem Mann mit den naiven Gemüt zu. So trägt er auf der Wanderschaft mit Lennie Mäuse in der Tasche, die aufgrund seiner nur schwer zu kontrollierenden Kraft zumeist schon tot sind, nachdem Lennie sie gestreichelt hat.

Auch ein Wurf Welpen auf der Farm begeistert ihn, und so verbringt er seine Zeit meist im Umgang mit den Tieren. Wenn seine Begeisterung auf Mitmenschen überspringt, dann hat dies allerdings meist keine guten Folgen. Denn Hals über Kopf mussten George und Lennie Weed verlassen, als Lennie das rote Kleid einer jungen Frau dergestalt begeisterte, dass er es gar nicht mehr loslassen wollte.

Immer wieder muss George in der Not einspringen, und seinem Freund aus der Patsche helfen und für beide mitdenken. Doch nun könnte alles anders werden dort auf der Farm, denn für das Verladen der Gerste sind die beiden genau die richtigen Männer. Ein paar Monate harte Arbeit, und der Grundstock für den Erwerb eines Hauses wäre gelegt und Lennie und George ihre eigenen Herren.

Der amerikanische Traum gilt nicht für alle

Doch mit dem Glück ist es nicht weit her, wie Steinbeck in seiner 1937 erstmals erschienen Novelle zeigt. Denn der amerikanische Traum gilt bei weitem nicht für alle, wie er in Von Mäusen und Menschen eindrucksvoll illustriert.

„Du bist übergeschnappt.“ Crooks sagte es verächtlich.

„Ich habe Hunderte von Männern gesehn, die von der Landstraße auf die Farmen gekommen sind, mit ihrem Bündel auf dem Rücken und denselben verdammten Ideen im Kopf. Hunderte, sag ich dir. Sie kommen und sie gehen und ziehen weiter und jeder verdammte Kerl von ihnen hat ein Stück Land im Kopf. Und verdammt keiner erreicht es je. Es ist wie mit dem Himmel. Jeder wünscht sich ein kleines Stückchen Land. Hab hier draußen einen ganzen Haufen Bücher gelesen. Es kommt keiner in den Himmel und keiner kriegt sein Stück Land. Es steckt ihnen bloß im Kopf. Sie reden die ganze Zeit davon, aber es ist bloß in ihrem Kopf drin.“

John Steinbeck – Von Mäusen und Menschen, S. 178

So schwingt in Steinbecks Text auch viel Desillusion mit, denn ein Happy End sucht man in dieser Erzählung vergeblich, ohne an dieser Stelle zu viel vom Text vorwegnehmen zu wollen.

Gelungene Bildwelten

Tief bewegt hat ihn dieser Text, wie der Illustrator Philip Waechter in seinem kurzen Nachwort zu dieser Neuausgabe des Klassikers schreibt. Geradezu erschüttert sei er gewesen ob der Konsequenzen, die die Suche nach Glück für Steinbecks Protagonisten hat. So wollte er die Welt aus Armut, Abhängigkeit und Unterdrückung passend zu Steinbecks klarem und nüchternen Stil illustrieren. Ein Vorhaben, das dem Frankfurter Illustrator wirklich gelungen ist, der hier nach Straße der Ölsardinen 2009 abermals tätig geworden ist in Sachen John Steinbeck.

George und Lennie auf Wanderschaft

Immer wieder unterbrechen ganzseitige, mit grobem Strich gezeichnete Szenen oder kurze Illustrationen von einzelner geschilderter Aspekte die Handlung, die sich wunderbar in die Geschichte einfügen und die Welt der armen Farmarbeiter gut illustrieren. Selbst wenn hier in einigen wenigen Szenen mal die Sonne scheint, so ist doch der schwarze Strich stets präsent und zeigt die Schwere der Existenzen.

Zudem sind es weitere kleine gestalterische Kniffe, die diese Ausgabe so besonders machen. So wandern etwa nicht nur Lennie und George durch die amerikanische Weite, auch die Seitenzahlen sind hier beständig unterwegs und wandern über die Seiten.

Kurze biografische Einordnungen zu John Steinbeck, Philip Waechter und der Übersetzerin Mirjam Pressler runden das Ganze ab. So entsteht ein bibliophil hochwertiger Band, der einen echten Klassiker des American Novel noch einmal neu entdecken lässt. Philip Waechter gelingt hier eine einfühlsame und stimmige Interpretation des Buchgeschehens.


  • John Steinbeck – Von Mäusen und Menschen
  • Aus dem Amerikanischen von Mirjam Pressler
  • Illustriert von Philip Waechter
  • Büchergilde Gutenberg, Artikelnummer 174111
  • 272 Seiten. Preis: 28,00 €
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Honorée Fanonne Jeffers – Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois

Was für ein Ziegelstein von einem Buch. Honorée Fanonne Jeffers spannt in ihrem Debütroman Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois einen ganz weiten Bogen, um von Schwarzem Leben in Amerika zu erzählen. Von der Zeit der indigenen Bevölkerung bis hinein in die Gegenwart reicht ihr Erzählkosmos, der eine junge schwarze Studentin in den Mittelpunkt stellt, in deren familiären Wurzeln sich die ganze Geschichte des Schwarzen Amerika abbildet. Es ist ein Erzählbogen, der bei aller Ambition auch ein wenig überspannt ist.


Chicasetta, das liegt im tiefsten Georgia. Georgia, das wohl so stark wie kaum ein anderer amerikanischer Bundestaat für die blutige Geschichte der Sklaverei steht, kamen doch hier zumeist aus Afrika stammende Sklaven tausendfach durch die grausame Ausbeutung auf Baumwollplantagen und an anderen Stellen ums Leben.

Eben dort in den Südstaaten lebt die Verwandtschaft von Ailey Pearl Garfield, die ihre Mutter zusammen mit den drei Kindern jeden Sommer besucht. Im Juni oder Juli packen die Garfields das Auto, um aus Connecticut die Mason-Dixon-Linie zu überqueren und in den Süden zu fahren. Dort, bei ihrem Onkel Root, verleben die Kinder und Erwachsenen sorglose Tage.

Die Geschichte Chicasettas und die der Sklaverei

Honorée Fanonne Jeffers - Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois (Cover)

Doch je älter Ailey wird, umso differenzierter wird das Bild, das sie von Chicasetta und der wechselvollen Geschichte des Süden der USA erhält. Von der Highschool bis zum Studium verfolgt Honorée Fanonne Jeffers in diesem Bildungsroman den Weg von Ailey, der schlussendlich bis zum Promotion als Geschichtsstudierende führt – ein Weg, der für eine Schwarze alles andere als leicht ist.

Im Zuge dieser Bildungskarriere taucht Ailey immer tiefer in die Geschichte Chicasettas und ihrer eigenen schwarzen Familie ein. Stärkste Inspirationsquelle ist dabei ihr Onkel Root, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren wurde und der die wechselvolle amerikanische Geschichte und die Nachwirkungen des Systems der Sklaverei am eigenen Leib miterlebt hat. Er hat einst am Routledge College die Bekanntschaft mit dem Denker W.E.B. Du Bois gemacht – eine Begegnung, die ihn sein ganzes Leben beeinflusst hat und seine Weltsicht entscheidend prägte.

Das Denken W.E.B. Du Bois

Jener schwarze Denker und Theoretiker, der bei uns so gut wie unbekannt ist (wenngleich seine Studie Along the color line über seinen Besuch des nationalsozialistischen Deutschlands 1936 im vergangenen Jahr bei C. H. Beck wieder zugänglich gemacht wurde), ist mit seinem intellektuellen Ansatz für ein anderes Miteinander von Schwarz und Weiß eine der entscheidenden Figuren, deren Denkschule und Theoriewerk die Generationen prägt, vom Zeitzeugen Onkel Root bis hin zu der 1973 geborenen Ailey.

Während sie sich verliebt, Mitglied in einer Verbindung auf dem Campus werden möchte, sich in Affären stürzt und am eigenen Leib den immer noch grassierenden Rassismus sowohl im Süden als auch im Norden erfährt, bleibt sie doch auch unbeirrt auf ihrem Weg, das Schwarze Erbe und die Verstrickungen von Sklaverei und Rassismus auf lokaler und familiärer Ebene aufzuarbeiten. Während sie sich in diese Geschichte einarbeitet, sind es von Beginn des Romans an immer wieder als Song betitelte Zwischenspiele, die die elf Kapitel der Familiengeschichte Ailey Pearl Garfields unterbrechen.

Songs mit Schwarzer Geschichte

In diesen Songs geht Honorée Fanonne Jeffers ganz weit zurück in der Geschichte der USA, um die Geschichte von Schwarzem Leben in den USA zu erzählen. So setzt das Buch zur Zeit der indigenen Ureinwohner ein, als Stämme wie die Cherokee oder die Creek noch unbehelligt auf ihrem Land leben konnten. Sie zeichnet in den bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhundert zurückreichenden Episoden nach, wie Siedler und mit ihnen auch das System der Sklaverei langsam die indigene Bevölkerung verdrängten und wie sich die aus Afrika verschleppten Menschen im grausamen Sklavensystem der Südstaaten wiederfanden.

Die lose miteinander verknüpften Songs bilden Stück für Stück Stammbäume und Ahnenlinien ab, wobei der Erzählton von Honorée Fanonne Jeffers an manchen Stellen schon einen fast biblischen Klang bekommt, wenn sie über die Abstammung der Familien und Geschlechter erzählt.

Die Hauptrolle in diesen Episoden mit den erzählten Stammbäumen spielt dabei Samuel Pinchard, dessen Tun als Sklavenhalter und vor allem Sklavenschänder vom herrschenden System der Herrschaft der Weißen gedeckt war. Gewalt, Missbrauch und anderes Unrecht schildert Jeffers in diesen Songs anschaulich – und verknüpft diese Geschichten mit der erzählten Gegenwart rund um Aileys Familie.

Viel Ambitionen und viel Leid

Doch damit begnügt sie sich nicht – denn Honorée Fanonne Jeffers will in ihrem Debüt gleich alles (was leider auch etwas zu viel ist, um dieses Urteil vorwegzunehmen). So porträtiert sie die Familie Aileys, deren Weg als schwarze Familie im weißen Norden, erzählt ausführlich vom Abrutschen der ältesten Schwester Lydia in die Sucht, entwickelt im Hauptteil einen echten Campusroman, der von Kämpfen und Niedertracht vor und hinter der Kulissen der honorigen Universitäten erzählt. Zudem spielt das geschichtsträchtige Leben ihres Onkel Roots eine große Rolle – und auch von innerfamiliären Missbrauch, den Ailey und ihre Schwestern erfahren mussten, erzählt Die Liebeslieder von W.E.B. Du Bois.

So gut sich die Aufsteiger-Geschichte von Ailey inklusive diverser Niederschläge und Verlusterfahrungen auch liest – in Verbindung mit dem knappen Dutzend an historischen Episoden mit einem schon fast ausufernden Personaltableau entsteht im letzten Drittel dieses fast tausendseitigen Romans auch zunehmend ein Gefühl der Überforderung und der verlorenen Übersicht, wenn von Honorée Fanonne Jeffers der nächste historische Strang eingeführt wird.

Blickt man in den umfassenden Anmerkungsapparat zum Buch, so sind es vier Hauptfamilien, die die Stammbäume aufführen. Diese weisen insgesamt über 36 Nachfahren nebst der Elternpaare auf, die allesamt mal in den Songs und mal in der Haupterzählung eine Rolle spielen. Das war für mich, der die Lektüre ein paar Mal für wenige Tage unterbrechen musste, in seiner Komplexität und Fakten- und Personenfülle leider so manches Mal zu viel, auch wenn der Anmerkungsapparat natürlich bei der Lektüre hilft.

Hochinteressante Anmerkungen zur Übersetzungsproblematik

Ein Glossar zu schwarzen Begriffen ergänzt Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois genauso wie ein erklärendes Nachwort der Übersetzerinnen Maria Hummitzsch und Gesine Schröder, die ihre Übersetzungsüberlegungen zu Slang und der Übertragung des African American Vernacular English, einer mündlichen Abart des Schriftenglisch, das von Schwarzen gesprochen wurde und wird, darlegen.

So haben sie sich bemüht, die zwei Sprachebenen des englischen Originals zumindest in Ansätzen sichtbar zu machen, ohne dass es dazu führt, dass die Schwarzen im Roman wie Einfaltspinsel und tumbe Gestalten klingen (was bei anderen Büchern leider immer wieder passiert).

Dieses Nachwort und die darin dargestellten Probleme bei der Übersetzung zählen für mich zu den interessantesten Aspekten des Buchs, berühren diese Anmerkungen doch einige Probleme, auf die ich bei der Lektüre Schwarzer Autor*innen im Deutschen immer wieder stoße. Wie stellt man das weite Begriffsfeld von Race im Deutschen dar, wie bildet man das variantenreiche Vokabular von Negro bis Black wenigstens einigermaßen angemessen im Deutschen ab und warum schreibt man im Kontext von afroamerikanischer Literatur Schwarz auch groß?

All diese Anmerkungen und Erklärungen von übersetzerischer Theorie und Praxis und den Grenzen unserer Sprache zählen für mich zu dem Interessantesten, was ich auf diesem Feld in letzter Zeit gelesen habe (und stellen unter Beweis, welch fordernde Aufgabe die Übersetzerinnen hier mit Bravour gemeistert haben).

Fazit

Man muss Zeit und Muse mitbringen, will man sich in diese fast tausend Seiten Schwarzer Geschichte in den USA verbunden mit viel Familiengeschichte und einem Bildungsroman stürzen. Mit Die Liebeslieder des W.E.B. Du Bois legt Honorée Fanonne Jeffers, ihres Zeichens Professorin für Kreatives Schreiben an der Universität von Oklahoma, eine ambitionierte Erzählung über die gesamte Spanne Schwarzen Lebens in der USA vor. Aufgrund der episodalen Fülle an geschichtlichen Rückblenden mit einem schon fast ausufernden Personalensemble empfiehlt sich das Buch nicht für längere Unterbrechungen und braucht viel Aufmerksamkeit und Übersicht, bei der auch der umfangreiche Anmerkungsapparat nur ein Stück weit helfen kann.

Für mich persönlich will Honorée Fanonne Jeffers in ihrem Debüt ein bisschen zu viel, aber nichtsdestotrotz ist das Buch doch ein wirklich großer Wurf, der den Schwarzen Wurzeln in Amerika nicht nur im Privaten umfassend nachspürt.


  • Honorée Fanonne Jeffers – Die Liebeslieder des W.E.B. Du Bois
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Maria Hummitzsch und Gesine Schröder
  • ISBN 978-3-492-07012-6 (Piper)
  • 992 Seiten. Preis: 28,00 €
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