Femi Kayode – Lightseekers

Die Suche nach Licht, dem Enlightment, sie ist der Epoche der Aufklärung eingeschrieben und ebenso der Ermittlungsfigur Dr. Philipp Taiwo, die in Femi Kayodes Krimidebüt Lightseekers Licht ins Dunkel bringen soll. Er soll nämlich auf dem Land in Nigeria den Fall der Okriki Three auflären, ein Lynchmord, der drei jungen Studenten das Leben kostete.


Etwa eine Stunde fliegt man von der nigerianischen Großstadt Lagos nach Port Harcourt, immer entlang der Küste des Atlantischen Ozeans. Der Psychologe Dr. Philip Taiwo tritt diesen Flug an, da er einen Auftrag erhalten hat, der ihn nach Okriki ins Umland von Port Harcourt (oder PH, wie Einheimische sagen) führt. Dort wurden drei junge Studenten von einem Mob auf der Straße zu Tode gehetzt und anschließend per Necklacing umgebracht.

Nachdem sie geschlagen wurden, legte ihnen der Mob Reifen um den Hals, um diese dann anzuzünden. Eine unfassliche Tat, die auch Emeka Nwamadi nicht ruhen lässt. Der einflussreiche Mann engagiert Taiwo, um im Fall zu ermitteln – denn eines der drei Opfer ist sein eigener Sohn. Es ist ein Autrag, den der forensische Psychologe, der bis vor acht Monaten die Polizeibehörde in San Francisco unterstützt hat, eigentlich ablehnen möchte.

Solche Anfragen waren nichts Neues für mich, darum hatte ich meine Standardantwort parat. „Sie dürfen mich nicht mit einem Privatdetektiv verwechseln, Mr. Nawamadi. Ich bin Psychologe mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Motive von Verbrechen und der Vorgehensweise der Täter. Beim Großteil meiner Forschung handelt es sich um rein akademische Untersuchungen.“

Femi Kayode – Lightseekers, S. 22 f.

Ermittlungen in Okriki

Und dennoch begibt er sich auf Druck von Nwamadi und seines eigenen Vaters nach Okriki, um im Fall der drei Studenten zu ermitteln. Unterstützung erhält er durch Chika, den persönlichen Assistenten von Emeka Nwamadi, der ihm vor Ort beistehen soll, um Licht ins Dunkel dieser massengesteuerten Tat zu bringen. Er tut sich auf dem Campus um, muss sich mit einer wenig kooperationswilligen Polizei vor Ort herumschlagen und erlebt eine Stadt, in der sich die religiösen Gruppen unversöhnlich gegenüberstehen. Und auch privat steht der Psychologe unter Druck, hat er doch seine Frau in den Armen eines jungen Studenten gesehen und hat auf dem Flug die Bekanntschaft mit einer schönen Anwältin gemacht, die über jeden seiner Schritte erstaunlich gut informiert scheint.

Femi Kayode - Lightseekers (Cover)
Lightseekers von Femi Kayode

Es ist ein passables Krimidebüt, welches uns Femi Kayode durch den Übersetzer Andreas Jäger mit Lightseekers präsentiert. Dabei tut für meinen Geschmack die äußere Aufmachung des Buchs dem Inhalt keinen Gefallen. Denn ein Thriller, wie das Buch vom Verlag gelabelt wird, ist Lightseekers mitnichten. Und auch die Spannung, die in den Kurzkritiken der Financial Times und des Guardian auf der Rückseite mehrfach hervorgehoben wird, gibt es im Großteil dieses Buchs so nicht. Vielmehr ist das Buch über weite Strecken ganz konventionell die beschauliche Ermittlung in einem Cold Case, der schon einige Monate zurückliegt.

Zusammen mit Chika muss sich der Ich-Erzähler auf dem Campus umtun, versucht gegen den Widerstand der lokalen Behörden und Einheimischen die Geschehnisse noch einmal wachzurufen und stößt dabei natürlich ein ums andere Mal an Grenzen. Zwischen lügenden Studenten, Spuren im digitalen Raum und einflussreichen in Kulten organisierten Männern muss sich Taiwo seinen Weg suchen, um zur Wahrheit zu gelangen.

Ein Krimidebüt mit etwas Steigerungspotential

Lightseekers ist ein Debüt, das durchaus noch Steigerungspotential erkennen lässt. So ist der Registerwechsel von der hauptsächlichen und sehr zähen Ermittlungsarbeit hin zu einem eskalierenden Finale mit viel Wumms noch nicht ganz ausbalanciert. Rumpelnd und mit einigem Knirschen schaltet dieses Buch vom trägen Ermittlungsgang plötzlich in ein hochtouriges und hochexplosives Finale, das mit all seinen Schauplätzen und Handlungsvolten dann sehr abrupt erscheint. Auch die eingeschobenen kursiven Reflektionen einer Figur erscheinen noch nicht ganz organisch in das Ganze eingebunden, das am Ende dann einfach zu hektisch wirkt.

Auch dürfte die Ermittlerfigur Dr. Philip Taiwo in den kommenden Fällen noch etwas mehr Profil bekommen, um sich gegen andere ermittelnde Psychologen wie etwa Michael Robothams Joe O’Loughlin abzuheben. Aber insgesamt lässt Femi Kayode doch viel Potential erkennen, das er in den kommenden Bänden der Krimireihe hoffentlich weiter entfalten und entwickeln wird. Schön ist es auf alle Fälle, dass hier mit Nigeria ein Schauplatz gewählt wird, der in der zeitgenössischen Krimiliteratur mit einzelnen Ausnahmen sowieso unterrepräsentiert ist.

Fazit

So ist Lightseekers ein Krimi um einen Cold Case, der in den ermittelnden Händen des Psychologen Dr. Philip Taiwo schlussendlich doch noch einmal gefährlicher wird, als es zuvor den Anschein hatte. Femi Kayode gelingt mit seinem Krimi ein passables Debüt, das Steigerungspotential erkennen lässt, sich aber auch durch die Wahl des Schauplatzes wohltuend vom sonstigen Krimi-Einerlei abhebt.


  • Femi Kayode – Lightseekers
  • Aus dem Englischen von Andreas Jäger
  • ISBN 978-3442-77011-3
  • 463 Seiten. Preis: 16,00 €
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Monique Roffey – Die Meerjungfrau von Black Conch

Wenn es ein literarisches Trendthema in diesem Herbst gibt, dann ist das unzweifelhaft das des Meeres. Fast ein Dutzend Romane erschienen in den letzten Monaten, die sich mit dem Leben auf oder am Meer beschäftigen (Auf See von Theresia Enzensberger, Zur See von Dörte Hansen, Über die See von Mariette Navarro, und so weiter und so fort). Nun gibt es mit Die Meerjungfrau von Black Conch einen Roman zu entdecken, der auch das Leben unter dem Meer in den Blick nimmt, indem Monique Roffey den Meerjungfrauenstoff feministisch neuinterpretiert und auf eine abgelegene Karibikinsel verlegt.


Black Conch heißt die kleine Insel, auf der David Baptiste lebt und als Fischer arbeitet. Mit Gitarre und Spliff ausgerüstet will er einen entspannten Tag auf dem Meer verbringen, als er zum ersten Mal die Bekanntschaft mit der Meerjungfrau namens Aycayia macht, die angezogen von seinem Gesang nahe seines Bootes auftaucht.

Die Meerjungfrau in der Badewanne

Dass das Ganze nicht auf einer drogeninduzierten Wahrnehmungsstörung beruht, das stellt sich spätestens dann heraus, als er im Gefolge von amerikanischen Touristen deren Angelausflug begleitet. Denn dort geht den Männern gerät anstelle eines stattlichen Fisches die Meerjungfrau an den Haken gerät. Was bei Ernest Hemingway der Marlin des alten Mannes war, das ist den Männern jetzt die Meerjungfrau, die sie in einen epischen Kampf verwickelt und aus dem die rohen Männer am Ende als Sieger herausgehen.

Monique Roffey - Die Meerjungfrau von Black Conch (Cover)

Als die Männer in einer Kneipe ihren Sieg über das weibliche Wesen feiern wollen, nutzt Baptiste die Gelegenheit und entwendet die Jagdtrophäe namens Aycayia, um sie aus der Macht der Männer zu befreien und bei sich zuhause in der Badewanne zu parken. Diese Notlösung erweist sich als Herausforderung, denn langsam transformiert sich die Meerjungfrau in Baptistes Badewanne.

Sie verliert ihren Fischschwanz und wird unter den staunenden Blicken Baptistes wieder zu der Frau, die sie einst war. Doch natürlich kann man so eine Meerjungfrau natürlich nicht einfach so bei sich zuhause unterbringen, selbst wenn der Schauplatz der Geschichte eine dünne besiedelte Karibikinsel ist. Das muss auch David erfahren, denn eine übergriffige Nachbarin und uralte Kräfte haben auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und so kommt es zu Fischregen, einem Polizeieinsatz und mehr, stets mit dem Ziel, wieder Macht über die Meerjungfrau zu erlangen.

Eine Neuinterpretation mit feministischem Einschlag

Die Meerjungfrau von Black Conch ist aus zwei Gründen eine interessante Lektüre. Zum Einen ist es der feministische Aspekt der Geschichte, der vom Versuch der Domestizierung, weiblicher Anpassung und Widerstandskraft erzählt – wenngleich manchmal auch etwas brachial (und für mein Empfinden gerade im ersten Teil des Buchs zu brachial, wenn die Männer gnadenlos geifernd zur Jagd auf die Meerjungfrau blasen).

Eine Greisin und eine Schönheit, beide ausgestoßen. Frau zu sein war gefährlich, wenn man irgendetwas nicht richtig machte.

Monique Roffey – Die Meerjungfrau von Black Conch, S. 212

Hier ist es eben nicht nur eine Geschichte von Männern, die über den weiblichen Körper verfügen, sondern auch die weibliche Perspektive kommt zu Gehör. Immer wieder erzählt Aycayia selbst von ihrem Leben und ihrer äußeren und insbesondere inneren Zerrissenheit – und zwar in der Form von Lyrik.

Das ist dann auch der zweite Punkte, der Monique Roffeys Buch zu einer intereressanten Lektüre werden lässt. Denn statt für eine normale Schriftsprache entscheidet sich die auf Trinidad geborene Autorin für karibisches Englisch, das sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt, darunter etwa kreolisches Englisch und lokaler Slang, was zu einer starken Mündlichkeit der passagenweise eingesetzten Sprache führt.

Wie übersetzt man karibisches Englisch?

Ähnlich wie zuletzt die Übersetzerin Karin Diemerling, die den auf der Karibikinsel Camaho spielenden Krimi Die Knochenleser von Jacob Ross ins Deutsche übertrug, entscheidet sich auf die Übersetzerin Gesine Schröder im vorliegenden Fall, diese im Deutschen nicht adäquat wiederzugebenden Sprachfärbung durch einen künstlich nachgebildeten Slang abzubilden, oder wie sie es im Nachwort zu ihrer Übersetzung schreibt:

Es gibt gewichtige Argumente dafür, bei der Übersetzung auf Abweichungen von der Standardsprache in Satzbau und Wortbildung zu verzichten- sie werden von Leser:innen oft schlicht als Fehler empfunden. Die Unterschiede einzuebnen würde andererseits dem Roman eins seiner wesentlichen Gestaltungsmittel nehmen. Die Sprechweise jeder Figur lässt ihre Gruppenzugehörigkeit, ihren sozialen Status und ihre Haltung zum Geschehen erkennen. (…) Und schließlich haben die trinidadischen Passagen einen charakteristischen Rhythmus, einen Singsang, der dem Erzählten eine besondere Färbung verleiht.

All das ginge verloren, wenn die Unterschiede im Deutschen nicht deutlich sichtbar wären.

Gesinde Schröder in ihrem Nachwort zu „Die Meerjungfrau von Black Conch“, S. 237 f.

Das macht aus dem Roffeys Roman ein außergewöhnliches, man könnte auch sagen eigenwilliges Erlebnis, wenn der Fischer David Baptiste in seinem Tagebuch des Jahres 2015/16 von den Ereignissen berichtet, die sich damals im Sommer des Jahres 1976 abgespielt haben. Aber das alles bleibt trotz lyrischer Passagen und fiktivem Slang dann doch gut lesbar, da dieser immer wieder zugunsten von Schriftdeutsch abgelöst wird.

Zudem ist Schröders Idiom auch deutlich dezenter eingesetzt als beispielsweise das fiktive schwarze Amerikanisch, das Werner Löcher-Lawrence seine Figuren in James McBrides Der heilige King Kong sprechen lässt, das die Figuren fast entstellt. Hier ist alles dezenter eingesetzt und verleiht der Neuinterpretation durchaus Charme, indem die Figuren trotz der eigenwilligen Sprache nicht als Simpel karikiert werden.

Fazit

Diese übersetzerische Entscheidung und der Aspekt einer mutigen Neuinterpretation eines schon fast zum Märchenkitsch geronnenen Mythos holen Die Meerjungfrau von Black Conch in die Gegenwart und machen aus dem alten Stoff eine ambitionierte Erzählung auf Höhe des Zeitgeists, die von Zerrissenheit, männlichem Eroberungsdrang und einer ungewöhnlichen Liebe erzählt. Mit exotischem Schauplatz versehen fernab jeder Märchenstunde ist hier ein eigenwilliges Buch zu entdecken, in das man abtauchen kann.


  • Monique Roffey – Die Meerjungfrau von Black Conch
  • Aus dem Englischen von Gesine Schröder
  • ISBN 978-3-608-50522-1 (Tropen)
  • 240 Seiten. Preis: 22,00 €
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Rahul Raina – Bekenntnisse eines Betrügers

Bildung, sie ist ein hehres Ideal, kann aber auch zur tödlichen Bedrohung werden, wie Ramesh Kumar in Bekenntnisse eines Betrügers am eigenen Leib erfahren muss. Denn seine Tätigkeit als „Bildungsberater“ bringt ihn in Rahul Rainas Roman erheblich in die Bredouille und sorgt für entführte Menschen und abgetrennte Fingerglieder. Ein unterhaltsames Buch voller Kidnapping, versehen mit Krimielementen und Gesellschaftskritik.


Ramesh Kumar – Bildungsberater. So steht es auf meiner Visitenkarte.

Sie wollen, dass Ihr kleiner Liebling 99,4 Prozent der Prüfungsfragen richtig beantwortet, ein Absolvent des Indian Institu[t]e of Technology wird und über den Rest von uns herrscht? Dann kommen Sie zu mir. Sie wollen, dass Ihr kleiner Racker bis an die Spitze der staatlichen Verwaltung aufsteigt, einen Durchmarsch in ein Eckbüro an der Wall Street oder in London antritt, oder, wenn alles schiefläuft, Gott behüte, wenigstens in Bangalore? Ich bin Ihr Mann. Jede Prüfung, jedes Fach in nur vier Wochen. Oder Sie kriegen Ihr Geld zurück. Und genau darauf haben sie es alle abgesehen, jeder Einzelne von ihnen.

Rahul Raina – Bekenntnisse eines Betrügers, S. 14 f.

So beschreibt Ramesh Kupar selbst sein Geschäft, mit dem er sich eine einigermaßen erträglicher Business in einer Nische erschaffen hat. Für faule Kinder aus den obersten Kasten Delhis schreibt er die Tests, arbeitet sich in Wissensfelder ein und übernimmt so die intellektuelle Arbeit für die ihn seine Arbeitgeber meist recht schlecht bezahlen.

Der Bildungsberater übernimmt

Rudraksh Saxena nimmt sich aus dieser Reihe nicht aus. Der verzogene und privilegierte Rudraksh, genannt Rudi, frequentiert lieber Cola, WhatsApp-Chats und einschlägige Filme, als seine Vorbereitungen auf die All India-Auswahltests voranzutreiben. Und so kommt Ramesh ins Spiel, der sich einen Monat lang in alle Bildungsfelder einarbeitet, um an Rudis Stelle statt die mehrtägigen Auswahltests zu schreiben.

Rahul Raina - Bekenntnisse eines Betrügers (Cover)

Als Sohn eines Teehändlers nahm sich einst eine Nonne seiner an und trieb die Bildung des Jungen voran, der seine überragenden Fähigkeiten nun auch bei den aktuellen All India-Tests wieder einsetzt – und als Rudi überraschend den zweiten Platz belegt, was größtes nationales Interesse hervorruft, da Rudraksh der beste indische Teilnehmer der Tests ist und so ein Run auf den Jungen einsetzt.

Durch geschickte Erpressung und Nötigung der Eltern, die Ramesh seinen Lohn eigentlich vorenthalten und ihn aus der Erfolgsgeschichte ihres Sohnes tilgen wollten, mausert sich dieser zum „Manager“ von Rudi, was tatsächlich eine Rundum-Betreuung des Hochstaplers und Blenders bedeutet.

Als ein Fernsehsender eine Quizshow mit Rudi ins Programm nehmen möchte, muss Ramesh all sein Talent zur Organisation und fürs Babysitten aufbringen, um Rudi für den Job vorzubereiten. Doch der Erfolg bringt auch Neider mit sich, die auch vor Entführungen und eindringlichen Drohbotschaften nicht zurückschrecken…

Gesellschaftskritik und Spannung im heutigen Indien

Bekenntnisse eines Betrügers ist ein Roman mit Spannungselementen und viel Gesellschaftskritik, auch wenn man es angesichts der mitunter flapsig-derben Sprache und des misslungenen Covers so nicht meinen möchte.

Zusammengesetzt aus Rückblenden und Schilderungen, wie Rudi und Ramesh in die Entführung schlitterten, die den Ausgangspunkt des Buches bildet, erzeugt Rahul Raina das Bild eines modernen Indien, in dem mehr Sein als Schein herrscht. Die Gesellschaft innerhalb des Kastensystems setzt auf bequeme Täuschungen des Status Quo und gibt sich lieber mit arglistigen Täuschungen zufrieden, als wirklichen Wettbewerb und Aufstieg aus anderen Gesellschaftsschichten zuzulassen.

Delhi ist der zentrale Handlungsort des Romans, der Rahul Raina als chaotische Stadt voller Widersprüche, Armut und wenig eingelöster Aufstiegsversprechen zeichnet, in der so manches Mal nur ein Kidnapping zum erwünschten Erfolg führt.

Dabei gelingen ihm in ihrer Doppeldeutigkeit schöne Szenen, die immer wieder über die Handlung hinaus auf gesellschaftliche Probleme und Missstände verweisen, etwa wenn der durch die Quizshow zum Fernsehstar und Schwiegermutter-Liebling avancierte Rudraksh als Frau verkleidet mit der U-Bahn durch Delhi reisen muss und sich dabei ständig sexueller Avancen und Übergriffigkeiten erwehren muss.

Hier zeigt Raina klar Missstände auf, genauso wie er durch seinen „Bildungsberater“ die Fixierung der indischen Gesellschaft auf leicht zu manipulierende Auswahltests und geschlossene Machtzirkel hinweist und so im Gewand eines zeitgenössischen Romans auch die Klassenfrage verhandelt.

Fazit

In diesem Sinne ist Bekenntnisse eines Betrügers ein unterhaltsames, in flapsiger Sprache und mit Krimielementen garnierter Roman, der ungeschönt auf die Probleme der indischen Gesellschaft blickt und die Aufstiegsversprechen derselben ad absurdum führt. Auch wenn man es angesichts des Covers und den parodistischen Zügen nicht gleich vermuten würde – aber hier steckt wirklich etwas im Buch, das der Lektüre lohnt!


  • Rahul Raina – Bekenntnisse eines Betrügers
  • Aus dem Englischen von Alexander Wagner
  • ISBN 978-3-0369-5868-2 (Kein & Aber)
  • 400 Seiten. Preis: 25,00 €
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Vicente Valero – Krankenbesuche

Die Ferieninsel Ibiza dürften wohl die wenigstens mit dem Topos der Krankheit und des Siechtums in Verbindung bringen. Und doch siedelt der Spanier Vicente Valero seine Erzählung Krankenbesuche auf ebenjener Insel an und erzählt aus Sicht eines zehnjährigen Jungen von den Kranken und verschränkt dabei Kindheit, Sonneninsel und moribundes Siechtum auf überzeugende Art und Weise


Schon seit langem hat sich der kleine Berenberg-Verlag auf die Herausgabe dünner Preziosen spezialisiert, die mal in Chile, mal in Palästina oder in Deutschland spielen, und die meist zumeist ihre Perspektive eint. Oftmals wird aus der Sicht der Unterschätzten, der Kinder und anderen Underdogs erzählt und deren Sicht auf die Welt in den Blick genommen. Krankenbesuche macht da keine Ausnahme

Vicente Valero - Krankenbesuche (Cover)

Hier ist es der namenlose Erzähler, der zurück in sein zehnjähriges Ich schlüpft und von seinem Aufwachsen auf der Sonneninsel Ibiza im Jahr 1973 erzählt. Seine Mutter bestreitet auch nach dem Tod der eigenen Mutter weiterhin viele Krankenbesuche bei Bekannten und nimmt dafür stets den eigenen Sohn mit, den die Zusammenkünfte am Krankenbett oder Nebenzimmer wechselweise anöden und elektrisieren.

Während die Erwachsenen bei Dessertwein und Knabbergebäck palavern und dem eigentlichen Anlass des Besuchs, den Kranken selbst, nicht allzu viel Aufmerksamkeit zukommen lassen, ist der Junge von dieser Welt so manches Mal fasziniert. Ärzte, die mit ihren Doktorenkoffern bei den Kranken die Aufwartung machen und deren Ansehen zwischen Göttern in Weiß und Kurpfuschern schwankt. Und die Patienten selbst, die manchmal eine wundersame Auferstehung feiern – oder aber überraschend schnell aus dem Leben scheiden.

Häuser, Diktatoren, Kranke – alles bröckelt

Die Feuchtigkeit und der Salpeter setzten den Häusern zu, nicht nur im Hafenviertel, sondern auch in der Altstadt, und ebenso im neuen Teil, dessen moderne Gebäude aus schlechtem Material errichtet worden waren. Wir lebten nun einmal mitten im Meer, auf einer Insel, und die Winter dort umhüllten uns mit ihrer salzigen und kalten Luft, ihrer regenschweren Musik, ihren dunklen Nebeln. Wo der Putz abbröckelte, setzte sich der Schimmel fest, und in den Ecken der Zimmerdecken bildeten sich schwärzlich-grüne Flecken, die man für schmutzige verlassene Nester hätte halten können. Wie saurer Schaum drang über Nacht zähflüssig-stockender Salpeter aus den Mauern, als überzöge sich eine Wunde mit Eiter.

Vicente Valero – Krankenbesuche, S. 21

Alles auf dieser Insel ist irgendwie bröckelig. Die Hausmauern und Bauruinen, die vom Meereswind angegriffen werden, der sieche Diktator Franco, dessen starke Hand so stark nicht mehr ist, die Buchseiten, die sich aus dem Büchern lösen – und natürlich die Patientinnen und Patienten in den Krankenbetten.

Vielleicht manchmal etwas arg evident

Manchmal vielleicht etwas arg evident beschreibt Vicente Valero diese Welt des Zerfalls, in der die Ankunft einer französischen Familie dem durch Krankenbesuche und Schule strukturierten Lebensrhythmus Abhilfe verheißt.

Guillaume ist mit seiner Schwester und der gesamten Familien aus Toulouse in Frankreich auf die Insel übergesiedelt, wo der Großvater seine letzten Wochen genießen soll. Einst lebte der Großvater mit seiner Familie in hier Spanien, flohen dann aber vor dem Krieg nach Frankreich, wohin er nun im Frühjahr des Jahres 1973 zurückkehrt, um als Kranker seinen Lebensabend zu genießen.

Mit Guillaume, aus dem schnell Guillermo werden soll, schließt der Erzähler Freundschaft, erlebt die typischen Kinderabenteuer (Fußball auf Brachflächen, gefährliche Rettung des Spielgeräts) und bekommt es in der Schule mit einem höchst unkonventionellen Lehrer zu tun, der das Leben des Jungen nachhaltig prägt. Doch auch in der Schule sind Krankheit und Tod präsent – und so bleibt das Siechtum ein steter Begleiter auf dem Lebensweg des kindlichen Erzählers.

Ibiza fernab aller Klischees

Mit Krankenbesuche gelingt Vicente Valero ein in sich absolut stimmiges Büchlein über eine Kindheit auf Ibiza, die konsequent alle Klischees meidet. Hier ist nichts mit Cocktails am Meer, Sonnenbrand und Sandstrand, stattdessen besticht das Buch durch einen ungeschönten Blick auf die Insel der Balearen vor allen in den späteren Jahren folgenden Tourismusexzessen.

Vicente Valero erzählt höchst vielfältig vom Siechtum und den manchmaligen Auferstehungen der Kranken konsequent durch die Brille eines Kindes. Wenn man Krankenbesuche liest, fühlt man sich selbst wieder wie ein kleiner Besucher im Krankenzimmer, der vor lauter Beinen der Erwachsenen kaum zum Blick auf den Kranken kommt. Die verwirrenden Rituale der Erwachsenen, die sich nicht immer erschließen, die Freiheiten der eigenen Kindheit und Jugend – und nicht zuletzt das Siechtum und der Tode – es ist alles drin in diesem Buch (übersetzt von Peter Kultzen).

Fazit

Wieder einmal präsentiert der Berenberg-Verlag ein Kunstwerk, das durch Gehalt und Perspektivwahl überzeugt. Nach seinem im vergangenen Jahr erschienen Werk Schachnovellen ist hier wieder ein tolles Buch von Vicente Valero zu entdecken, in dem er zurück ins Jahr 1973 nach Ibiza entführt, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt in die Klischeefalle zu tappen. Ein schöner Beitrag aus dem diesjährigen Buchmesse-Gastland Spanien, das vielleicht nicht für den Besuch im Krankenhaus das ideale Mitbringsel ist. Aber für alle anderen Begegnungen mit literarisch Interessierten umso mehr!


  • Vicente Valero – Krankenbesuche
  • Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
  • ISBN 978-3-949203-39-8 (Berenberg)
  • 112 Seiten. Preis: 22,00 €
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Gu Byeong-Mo – Frau mit Messer

Braucht es eine Altersgrenze für Auftragskillerinnen? Dieser Frage geht die Südkoreanerin Gu Byeong-Mo in ihrem Roman Frau mit Messer nach. Sie erzählt von einem altbekannten Topos mit einer ungewöhnlichen Heldin.


Die USA oder Cool Britannia als Impulsspender für das globale kulturelle Leben, das war einmal. Schon längst sind die westlichen Nationen von einem anderen Land abgelöst worden, das sich zum Taktmacher der kulturellen Revolution aufgeschwungen hat. Die Rede ist von Südkorea.

Die Boyband BTS bricht mit ihrem K-Pop ebenso Herzen wie Tourneerekorde, Bong Joon-ho durfte sich unlängst für seinen Film Parasite den Oscar abholen, die Serie Squid Games schlug alle Rekorde – und auch in der Literatur ist der Einfluss Südkoreas unübersehbar. Da wäre beispielsweise Sang Young Park mit seinem sehr zeitgeistigen Roman Love in the big city (das mich zu einer ähnlichen Einleitung der Besprechung inspirierte, wie ich beim Korrekturlauf der Rezension feststellte) oder Young-ha Kim, der in seinem Roman Aufzeichnungen eines Serienmörders ebenjenen Serienmörder mit einer Alzheimererkrankung konfrontiert.

Zu diesen interessanten Stimmen gesellt sich nun auch Gu Byeong-Mo, die in Frau mit Messer das altbekannte Thema des alternden Auftragskillers auf interessante Art und Weise umarrangiert und inszeniert.

Altbekanntes Motiv, frischer Zugang

So ist das Thema des dienstmüden Auftragskillers von Luc Bessons Film Leon der Profi bis hin zu Martin Booths The American ausgiebig verhandelt worden und in der Popliteratur wirklich als arriviert zu bezeichnen. Dieses Thema ist auch bei Gu Byeong-Mo dasselbe, doch ihre Heldin Hornclaw unterscheidet sich erheblich von all den ausgebrannten Männern, die doch schlussendlich immer noch einmal für einen letzten Job ranmüssen.

Gu Byeong-Mo - Frau mit Messer (Cover)

Ihre Heldin ist eine 65-jähre Frau, die eigentlich das perfekte Renteneintrittsalter hätte. Doch sie kann vom Morden nicht wirklich lassen, kommt in der U-Bahn bedrohten Frauen zu Hilfe und erledigt ihre Auftragspersonen dabei bevorzug mit – wer hätte es bei dem Titel anders erwartet – mit Messern, die sie in verschiedenen Ausfertigungen mit sich führt. Tätig ist sie für eine Agentur, die die Killer verwaltet und Auftraggeber und Mörder zusammenbringt.

Das Alter setzt ihr inzwischen zu – ebenso wie ein junger, ungestümer Kollege, der sie beständig provoziert, herausfordert und auf die Probe stellt. Die Auftragsmorde – oder „Schädlingsbekämpfung“, wie Hornclaw ihr Metier für sich getauft hat- gingen ihr auch schon einmal leichter von der Hand. Und so stellt sie sich folglich die Frage, ob es nicht Zeit für die Rente wäre, insbesondere da Hornclaw in letzter Zeit zunehmend beunruhigende Faktoren wie die Entwicklung von Empathie und Mitmenschlichkeit an sich entdeckt hat.

Wie konnte sie in so einem kritischen Augenblick die Zielperson verlieren und stattdessen einem Fremden helfen? Wenn der Anblick eines sich abmühenden Mannes, der ungefähr in ihrem Alter ist, bei ihr zu solchem Mitleid führt … tja, sie hat die ganze Zeit ganz gut ohne das alles gelebt und tatsächlich nur deswegen überlebt, weil solche Gefühle in ihr abgestumpft sind. Aber jetzt sind sie plötzlich da.

Gu Byeong-Mo – Frau mit Messer, S. 157

Doch die Frau mit Messer kann von ihrem Job nicht lassen – und spätestens als das Kind von lokalen Standbesitzern entführt und von den Entführern eine Botschaft an Hornclaw gesendet wird, ist klar, dass die Killerin noch einmal die Messer wetzen muss.

Genretypische Motive, modern interpretiert

Frau mit Messer ist ein Buch, das einerseits voller genretypischer Tropen wie dem treuen und klugen Hund ist, der als verständiger Mitbewohner zuhause wohnt und auf seine Besitzerin wartet. Natürlich fliegen Granaten durch die Luft und Autos auf Dächer, natürlich wird auch bei Frau mit Messer geballert, gemeuchelt und gehetzt. Aber das alles arrangiert Gu Byeong-Mo auf frische und manchmal durchaus ungewöhnliche Art und Weise, wenngleich der Showdown dann ganz klassisch mit hohem Bodycount und der üblichen Entwicklung seinen Lauf nimmt.

Bei ihr findet sich non-binäres Verwaltungspersonal, der Plot wird nicht immer linear erzählt und mit der alternden Killerin steht eine unangepasste Frau im Mittelpunkt, die Schwäche zeigen darf und gerade dadurch ihrem typischen Berufsbild eigentlich widerspricht. So stellt das Buch subtil zwinkernd die Frage nach einer Altersgrenze für Killer*innen und nimmt die gegenwärtige soziale Situation Südkoreas in den Blick. Letzten Endes läuft das Buch auf sein erwartetes Ende zu, aber die ungewöhnliche Heldin hebt Gu Byeong-Mos Buch über das Gros ähnlicher Romane, die von alternden Auftragskillern handeln, heraus.

Nur eine Kleinigkeit bleibt zu bemäkeln. Wenn man schon eine neue südkoreanische Stimme präsentiert, dann hätte man in meinen Augen auch auf eine Übersetzung aus dem südkoreanischen Original zurückgreifen sollen, statt die amerikanische Übersetzung dann ins Deutsche zu übertragen, obgleich Wibke Kuhn gute Arbeit leistet. Davon abgesehen gibt es hier spannend variierte Thrillerkost, die einmal mehr zeigt, wie Südkorea sich den westlichen Pop einverleibt und weiterentwickelt hat.


  • Gu Byeong-Mo – Frau mit Messer
  • Aus dem Englischen von Wibke Kuhn
  • ISBN 978-3-550-20150-9 (Ullstein)
  • 288 Seiten. Preis: 22,99 €
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