Zum Abschied die Erinnerungen. Gabriele Riedle lässt in In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg nach dem Tod eines befreundeten Kriegsfotografen die Gedanken ihrer Erzählerin schweifen. Gedankensplitter und Eindrücke aus dem Alltag einer Kriegsreporterin in Libyen, Lagos, Afghanistan, stets auf der Suche nach dem Weltgeist.
Das Vorurteil, dass es der deutschen Literatur an Welthaltigkeit gebricht, im Falle von Gabriele Riedle lässt sich das nicht bestätigen. Fast im Alleingang nimmt sie die Leser*innen in diesem Buch von an so viele Schauplätze mit, dass es eigentlich für zehn Romane reichen würde, auch wenn es sich hierbei laut Untertitel nur um eine Art Abenteuerroman handelt.
Tod in Misrata
Auslöser dieser Art Abenteuerroman ist der Tod eines befreundeten Kriegsfotografen namens Tim, von dem die namenlose Erzählerin in Berlin im Radio hört. Diese Todesnachricht wirft sie völlig aus der Bahn und löst vielfältige Erinnerungskaskaden aus.
So rauchten und scherzten wir eine ganze Weile, beziehungsweise war es natürlich so, dass nur die Serben rauchten, und sowohl Tim als auch ich begnügten uns inzwischen aus gesundheitlichen Gründen mit billigen Sprüchen, wobei es natürlich besser gewesen wäre, wenn Tim wenigstens erst zehn oder zwanzig Jahre später, aber dann trotzdem noch lange vor der Zeit, beispielsweise an Lungenkrebs verstorben wäre, anstatt schon kurz darauf in Misrata zerfetzt zu werden von der Granate eines schwachsinnigen Gaddafi-Getreuen, eines minderbemittelten Milizionärs oder eines dämlichen Dschihadisten, ich weiß ja bis heute nicht, wer es war, der damals auf Tim feuerte, denn sie hatten aus allen Richtungen geschossen.
Gabriele Riedle – In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg, S. 235
Der Job des Kriegsreporters, er ist einer, der unter ständiger Gefahr stattfindet und bei dem auch der Tod eines permanenter Begleiter ist. Fälle wie der der deutschen Kriegsfotografin Anja Niedringhaus in Afghanistan oder der von Marie Colvin in Syrien zeigen das immer wieder auf bestürzende Art und Weise. Und auch Gabriele Riedle selbst ist Kriegsreporterin, die viele Krisenherde selbst bereiste und für ihre Reportagen aus Saudi-Arabien, Libyen oder Tschetschenien mehrfach ausgezeichnet wurde.
Von Lagos bis Liberia
In ihrem Buch zeigt sich die Gefahr auch ständig, auch wenn die Schauplätze des Buchs wechseln mögen. So erinnert sich die namenlose Erzählerin an ihre Einsätze, die sie mit den Taliban-Kriegerin in Afghanistan in Kontakt brachten, erzählt von Reportagen aus den Dschungeln von Papua-Neuguinea oder abtrünnigen Provinzen wie der in Iguschetien. Von Lagos bis Liberia durchmisst die Erzählerin geradezu atemlos die eigenen Erinnerungen.
Besonders letzteres Land unter der damaligen Führung des inzwischen als Kriegsverbrecher verurteilten Charles Taylor hat sich bei ihr tief eingebrannt, verbrachte sie doch Zeit zusammen mit Tim, der sie bei einem jener von den Chefredaktionen in Hamburg oder Manhattan beautragten Einsätzen als Fotograf begleitete. Von diesen Erinnerungen berichtet die Erzählerin genauso wie von den Schwierigkeiten, zuhause zuhause zu sein.
Dann musste man natürlich auch wissen, wie man wieder zu Hause ankommt, wo und was auch immer das war, wohin gehen wir denn?, immer nach Hause, von wegen!, Novalis!, oder Hardenberg!, oder Ofterdingen!, oder wie immer du heißt auf deiner Reise von Eisenach nach Augsburg, heimzukehren war fast das schwierigste aller Unterfangen, viel schwieriger, als sagen wir, eine Expedition zum heiligen Berg Kailash, nach Afghanistan oder ins Innere von Papua-Neuguinea , außer man flog in einem Militärtransportflugzeug in einem Sarg aus Zink, dann wenigstens ging alles wie von selbst, sie luden einen ein und dann luden sie einen wieder aus, und falls sie wussten, was sich gehörte, salutierten sie sogar, die Hand an der Mützer oder wo auch immer, wobei sich das Salutieren und die Hand an der Mütze nach unserem Geschmack durchaus sparen konnten, denn ebenso wenig wie an das deutsche Reinheitsgebot glaubten wir an das Militär (…)
Gabriele Riedle – In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg, S. 130
Atemlose Satzkaskaden
In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg ist ein eigenwilliges Buch mit einer ganz eigenen Sprache, die hohe Konzentration und keinerlei Ablenkung einfordert. Punkte sind die Sache Gabriele Riedles nicht, wie schon die zwei obigen Zitate zeigen. Ihr genügen zwei, allerhöchstens drei Satzpunkte auf jeder Seite, um ihre Satz- und Erinnerungskaskaden vorzubringen und zu strukturieren.
Dabei springt sie an viele Handlungsorte und lässt jede Menge Anspielungen und Assoziation einfließen, wie etwa im obigen Textbeispiel Novalis‘ berühmtes Zitat. Aber auch der gerade vieldiskutierte Karl May, Hegel und dessen Weltgeist oder Operetten-Anspielungen finden sich immer wieder im Text, bei dem das Zuhause der Erzählerin in der Goethestraße in Berlin zwar kein wirkliches Zuhause ist, ihr auf den Namen West-Östlicher Diwan getauftes Sitzmöbel aber ein schönes Bild für die Pole im Wesen und Arbeiten der Erzählerin darstellt, die stets dem Weltgeist hinterherspürt.
So bringt In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg die weite Welt mit all ihren Konfliktherden ins eigene Lesezimmer. Gerade, da unsere Aufmerksamkeit selten über die tagesaktuellen Nachrichten und ein paar Schlaglichter auf internationale Krisen hinausreicht, bringt Riedles Buch all die globalen Missstände gebündelt aufs Tapet und verschafft einen Eindruck, wie groß die Welt außerhalb des eigenen, westlich zentrierten Blicks doch ist und welche Krisen wir so alles verdrängen.
Fazit
Auf In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg muss man sich einlassen – besonders auf die eigenwillige Prosa Gabriele Riedles. Tut man dies, bekommt man aber ein anspielungsreiches Werk geboten, das das Handwerk des Kriegsreporters aus nächster Nähe schildert und das viele dauerbrodelnde Konfliktherde von Afghanistan bis Libyen in den Blick rückt. Auch ist die Ausstattung dieses Buchs natürlich eine Pracht, wie man es von der Anderen Bibliothek gewohnt ist. Nur muss man jetzt noch zwei Wochen warten, ehe der kostengünstige Extradruck erscheint, der im Vergleich zum bereits vergriffenen Original mit 24 Euro dann doch erschwinglicher ist als die Originalausgabe. Oder man hat eine gut sortierte Bibliothek im Einzugsbereich, die das Buch bereits im Bestand hat.
Schön auf alle Fälle, dass die Jury des Deutschen Buchpreises mit ihrer Nominierung den Fokus auf bereits im Februar erschienene Werk gelegt hat – mir wäre sonst ein stilistisch eigenwillig und thematisch notwendiges und relevantes Buch entgangen!
- Gabriele Riedle – In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg
- ISBN 978-3-8477-2050-8 (Die andere Bibliothek)
- 264 Seiten. Preis: 24,00 Euro, der Originalpreis beträgt 44,00 Euro